In einigen meiner Publikationen über Wolfgang Graf Berghe von Trips wurden auch die legendären Formel-1-Rennwagen Ferrari 156 „Sharknose“ in Bild und Text vorgestellt. Vor allem deshalb, weil Graf Trips mit diesem Fahrzeug in der WM-Saison 1961 nach seinen Siegen bei den Großen Preisen in Holland und in England gute Chancen hatte, die Automobil-Weltmeisterschaft zu gewinnen. Mehrere Fachjournalisten und Fotografen, die damals diese Läufe zur Fahrerweltmeisterschaft live verfolgt hatten, unterstützten mich im Laufe der Jahre mit Beiträgen und Fotomaterial für diverse Veröffentlichungen. Einer aus der „alten Zunft“ der „Motoring Writers“ war der bekannte englische Fachautor Anthony Pritchard. Er unterhielt sich 2011 mit dem früheren Ferrari-Rennleiter Romolo Tavoni über die „Sharknose“-Fahrzeuge, die GP-Rennen der Saison 1961, den tragischen Unfall von Graf Trips und den WM-Titel für Phil Hill. Aus Pritchards Erinnerungen …
Das Jahr der Sharknose
1961 war das Jahr des Weltmeistertitels mit den „Sharknose“ und das Jahr einer Tragödie – und eines, das für einen Mann der Scuderia Ferrari mit Turbulenzen endete. Immer dann, wenn ich in Italien bin, besuche ich meinen alten Freund Romolo Tavoni in seinem Haus in Casinalbo nahe Modena. Tavoni ist mittlerweile über 90 Jahre alt und benötigt ärztliche Pflege. Aber immer noch genießt er es, über seine Zeit mit Ferrari – besonders von 1958 bis 1961 – zu sprechen. In diesen vier Jahren war er Rennleiter der Scuderia. Einmal unterhielten wir uns über die 1961er-Saison, die Tavoni als „sehr zufriedenstellend“ beschrieb: „Aber sie war auch schwierig wegen einer ganzen Reihe von Problemen. Wir gewannen mit dem 156 fünf Meisterschaftsläufe, Stirling Moss siegte für Rob Walker zweimal auf Lotus 18, und beim Finale in Watkins Glen holte Innes Ireland (Lotus 21) seinen ersten und einzigen Grand-Prix-Sieg. Ferrari ging in den USA nicht mehr an den Start. Und von Zufriedenheit konnte am Ende in unserem Team kaum noch die Rede sein nach dem Tod von Trips und dem Verhalten Laura Ferraris, der Ehefrau des Commendatore.“
Enzo Ferrari entließ im Oktober 1961 Tavoni und fünf weitere hohe Angestellte. Romolo war dann bei der Gründung des vom Pech verfolgten ATS-Teams dabei, dass Graf Volpi und ein paar andere finanzierten. Leider erwies sich Carlo Chitis V8 als schrecklich erfolglos in der 63er-Saison, und das Team war nach einigen Unstimmigkeiten unter den Finanziers schon bald am Ende. Tavoni wurde später Direktor der Rennstrecke in Monza.
Neue Formel und erster Heckmotor-Ferrari
Für 1961 gab der Automobilverband FIA eine neue Grand-Prix-Formel heraus, die den Hubraum auf anderthalb Liter begrenzte, Aufladung verbot und ein Minimalgewicht von 500 Kilogramm vorschrieb. Außerdem musste ein Anlasser eingebaut werden. Während des Rennens durfte zudem kein Öl mehr nachgefüllt werden. Wie so viele Maßnahmen zuvor, sollten auch diese aus Sicherheitsgründen künftig das Tempo verringern. Die neue Öl-Regel sollte verhindern, dass Autos mit Öllecks immer wieder aufgefüllt würden und dann Runde für Runde die Strecke mit Schmiermittel verunreinigten. Tavoni erinnerte sich: „Die Briten waren gegen die Einführung der neuen Formel, aber Enzo Ferrari begrüßte sie – teils, weil das Team in den letzten Jahren der 2.5-Liter-Formel immer mehr nachgelassen hatte, teils, weil wir mittlerweile den starken V6 für die alte 1500er-Formel-2 geschaffen hatten. Chefingenieur Carlo Chiti hatte ihn für 1961 weiterentwickelt, und zu Anfang der Saison gab es dann die stärkere Version mit 120-Grad-Zylinderwinkel und einer Leistung von rund 170 PS. Das waren ungefähr 20 PS mehr als der vierzylindrige Coventry Climax FVF Mk II hatte. Den nutzten die britischen Teams, bevor sie auf die neuen V8 von BRM. und Coventry Climax zurückgreifen konnten.“
Tavoni berichtete weiter: „Chiti hatte lange mit Ferrari um die Erlaubnis gestritten, das Heckmotor-Konzept umzusetzen. Ferrari war ja schon seit den 1920er-Jahren im Motorsport aktiv und ziemlich reaktionär, aber am Ende gab der Commendatore Chitis sanftem Druck dann doch nach. Ginther fuhr dann einen Testwagen mit Heckmotor beim Großen Preis von Monaco 1960. Im Verlauf jenes Jahres 1960 lag aber das Hauptaugenmerk auf dem neuen Formel-2-Renner mit Heckmotor, mit dem Trips das Solitude-Rennen gewinnen und den fünften Platz in der Formel-2-Kategorie im italienischen Grand Prix in Monza holen sollte. Am Ende der Saison wurde Trips Dritter in Modena, wo er Probleme mit den Bremsen hatte. Das Auto bildete jedenfalls die Basis für das 61er Formel-1-Modell, das mit seinem doppelten Kühllufteinlass und dem markanten Heck samt Grill besonders auffiel.“
Tavoni räumte aber auch ein: „Die V6-Ferrari waren viel schwerer als die untermotorisierten britischen Autos, außerdem waren sie in Sachen Handling und Straßenlage unterlegen. Das spielte aber keine Rolle, weil die Ferrari-Piloten nicht unter Druck standen und nicht Leistung um jeden Preis liefern mussten. 1962, als ich die Firma schon verlassen hatte, fuhren sie immer noch. Mittlerweile hatten die britischen Fahrzeuge V8-Motoren, die ebenso stark waren wie die von Ferrari, aber sie waren leichter und viel schneller in den Kurven. Jetzt rächten sich die Unterlassungen in der Arbeit am Chassis.“
Die britische Opposition
Die Siege von Stirling Moss im Jahr 1961 in Monaco und auf dem Nürburgring zählen zu den besten Leistungen des englischen Ausnahmefahrers. Der Erfolg des Lotus 18 in Monte Carlo muss Ferrari erschüttert haben, dessen V6 so unbesiegbar erschienen war. Tavoni: „Ferrari war enttäuscht, aber er erkannte, dass Moss der größte Fahrer dieser Ära war, ein großartiger Taktiker. Er wollte Moss verpflichten und es gab dafür auch konkrete Pläne für 1962. Aus denen wurde dann ja bekanntlich nichts wegen des schrecklichen Unfalls von Moss in Goodwood. Uns war jedenfalls klar, dass die Konkurrenz unsere V6-Rennwagen vor allem in Monaco und auf dem Nürburgring schlagen wollte. Moss fuhr fantastisch in Monaco. Die Fahrzeuge von Phil Hill und von Trips hatten noch die älteren 65-Grad-Motoren, während Chef-Testfahrer Ginther mit dem noch nicht fertig entwickelten 120-Grad-V6 unterwegs war. Ich mochte Richie Ginther sehr. Er war ein erstklassiger Testpilot, aber er war nicht so schnell wie Trips und Hill. Moss gewann in Monaco 1961 mit 3,6 Sekunden Vorsprung vor Richie. Phil und ,Taffy‘ kamen als Dritter und Vierter ins Ziel.“
Über die damalige Vertragsverlängerung von Ginther berichtete Tavoni: „Enzo Ferrari hätte Richie auch für 1962 behalten sollen, aber im Herbst 61 berichtete ihm Eugenio Dragoni (ein Freund Ferraris und mein Nachfolger), dass Ginther dabei gesehen worden sei, wie er sich in einem Modeneser Restaurant mit Tony Rudd von BRM. unterhalten habe. Darauf weigerte sich Ferrari, Richies Vertrag zu verlängern, weil er dachte, dieser wolle zu BRM. wechseln. Ich erfuhr, dass das Treffen ein rein gesellschaftliches gewesen war. Sobald klar war, dass der Vertrag nicht zustande kommen würde, war Ginther weg und unterschrieb bei den Briten.“
Auch auf dem Nürburgring kämpfte Ferrari mit großen Handling-Problemen. Dazu Tavoni: „Moss traf die glorreiche Entscheidung, trotz des trockenen Kurses die ganz neuen und besonders gut haftenden Dunlops für feuchten Belag aufziehen zu lassen. Er hatte sich ausgerechnet, dass die Reifen schneller sein würden als die normalen Dunlops, auf denen die Ferrari unterwegs waren. Es war kein leicht errungener Sieg für Moss: Die Reifen waren schnell abgefahren, Trips und Hill kamen immer näher, aber ein Regenschauer brachte ihn wieder klarer in Führung, und am Ende siegte er mit 21,4 Sekunden Vorsprung vor Trips und Phil Hill.“
Baghettis Aufstieg und Fall
Besonders bemerkenswert in der Saison 1961 war auch der Auftritt von Giancarlo Baghetti, der gleichsam aus dem Nichts kam und überraschend erfolgreich war: Er siegte in seinen ersten drei Formel-1-Rennen. Dann aber, als Werksfahrer für Ferrari in der 1962er-Saison, erreichte der gebürtige Mailänder praktisch nichts mehr und verschwand wieder von der Bildfläche.
Tavoni: „Baghetti war in Italien wohlbekannt als erfolgreicher Formel-2-Pilot auf OSCA und Dagrada. Er stammte aus einer reichen Industriellenfamilie. Er wollte unbedingt Formel-1-Fahrer werden und gab dafür sogar ordentlich Geld aus. So zahlte er der FISA (Federazione Italiana Scuderie Automobilistiche) für die Erlaubnis, den 65-Grad-Ferrari fahren zu dürfen, eine stattliche Summe. Seine Formel-1-Karriere begann er mit dem Sieg im – nicht zur Meisterschaft zählenden – Rennen in Syrakus, wo er die Porsche-Werksfahrer Dan Gurney und Jo Bonnier mit ihren Vierzylindern schlug. Baghetti war ein sehr schneller Fahrer, der die Qualitäten eines Rennwagens optimal zu nutzen verstand. Dann gewann er am 14. Mai 1961 den Großen Preis von Neapel, der mit kleinem Starterfeld am gleichen Wochenende stattfand wie der erste Weltmeisterschaftslauf der Formel 1. Ferrari wollte ihn als Werksfahrer, es war jedoch nicht immer üblich, noch einen zusätzlichen offiziellen Mann an den Start zu schicken. Nachdem aber das Team die GP-Rennen in den Niederlanden und in Belgien gewonnen hatte, setzten wir in Reims die üblichen drei Fahrer mit den 120-Grad-Wagen ein und gaben außerdem Baghetti einen 65-Grad-Wagen.“
Tavoni erzählte mir über Reims: „Die Fahrer klagten im Training über eine schlechte Beschleunigung aus den Haarnadelkurven bei Thillois und Muizon. Also übersetzten wir den ersten Gang in allen Autos kürzer. Die drei 120-Grad-Ferrari erwiesen sich daraufhin als die Schnellsten und bestimmten auch das Rennen, bis sie mit der Hitze Probleme bekamen. Trips rollte mit Motorschaden an die Boxen. Hill drehte sich bei Thillois, würgte seinen Motor ab und fiel aussichtslos zurück. Ginther gab auf, als sein Motor ebenfalls kollabierte. Also kämpfte nun Baghetti mit Bonnier und Gurney um die Führung. Giancarlo blieb bemerkenswert ruhig und besonnen und machte nicht einen Fehler. Dann musste Bonnier mit qualmendem Motor an die Boxen, und in der letzten Runde ging Gurney vor Baghetti durch Thillois. Dank des niedrig übersetzten ersten Gangs schaffte es Baghetti aus Gurneys Windschatten heraus und passierte das Ziel mit 0,1 Sekunden Vorsprung.“
Nach Ascaris Siegen auf Ferrari 1953 war das der erste Sieg eines Italieners in einem Weltmeisterschaftslauf. Ferrari setzte daraufhin Baghetti in Aintree in einen 120-Grad-Wagen. In Großbritannien rutschte er jedoch auf nasser Strecke in die Leitplanke. Zur Strafe war er in Deutschland nicht dabei. Der Belgier Willy Mairesse ersetzte ihn. In Monza fuhr er einen privat gemeldeten 120-Grad-Wagen, fiel aber mit Motor-Problemen aus.
Tavoni über die weitere Karriere des Italieners: „Baghetti war in der Saison 1962 an Phil Hills Seite, aber die V6-Ferrari waren schon da nicht mehr konkurrenzfähig, und . Ich glaube, er verlor dann einfach das Interesse. Wir verpflichteten beide Fahrer für A.T.S., aber die Autos wurden nie wirklich fertig und Baghetti kam gar nicht richtig zum Zuge. Ich glaube, er und James Hunt hatten einiges gemeinsam: Giancarlo war ein reicher Playboy, während James weniger Mittel hatte, aber beide fuhren und lebten intensiv. Ginacarlo war imstande, die Nacht vor dem Rennen durchzumachen. Noch betrunken oder zumindest verkatert ging er dann morgens in die Sauna, schwitzte den Alkohol aus und war zum Rennen am Nachmittag wieder stocknüchtern. Dass er nach 1962 kaum mehr durch Leistung auffiel, hat meiner Meinung nach damit zu tun, dass er am Steuer eines guten Autos brillant war, aber überhaupt keine Ambitionen hatte, wenn er etwas fahren sollte, dass nicht wettbewerbsfähig war.“
Die Tragödie von Monza
Abgesehen von Moss‘ Siegen war die Saison 1961 für Ferrari äußerst erfolgreich. Dann kam Monza – ein Rennen, über das zu sprechen Tavoni noch heute schwerfällt: „Mit Phil Hill und ‚Taffy‘ von Trips hatten wir an diesem 10. September zwei herausragende Fahrer, die gut mit mir und mit Richie Ginther zusammenarbeiteten. Phil und Taffy waren recht unterschiedliche Charaktere. Phil liebte Musik und ganz besonders die Oper, er war immer freundlich, aber auch introvertiert und nachdenklich. Er war eher unsicher und litt unter Magenproblemen. Von Trips war ein ernster und eher distanzierter Mensch mit aristokratischem Hintergrund, der sich stets ein wenig den anderen überlegen fühlte. Es gab keine Stallregie, abgesehen von der Regel, dass die Fahrer ab der zehntletzten Runde ihre Positionen im Team nicht mehr ändern sollten. Nach dem Rennen in Deutschland hatte Taffy 33 Punkte, Phil stand bei 29. Es war klar, dass derjenige, der Monza gewinnen würde, auch Weltmeister sein würde. Alle waren mit der Zehn-Runden-Regel einverstanden.“
Der fürchterliche Unfall ereignete sich in der zweiten Runde unmittelbar vor der Parabolica. Hill führte vor Ginther und Rodriguez. Tavoni: „Als sich die Wagen der Curva Sud, der früheren Kurve von Vedano näherten, kam Trips, eng verfolgt von Clark im Lotus. Taffy bremste früh, etwa 230 Meter vor dem Scheitelpunkt, zog seinen Wagen von der Fahrbahnmitte auf die Ideallinie nach links und überraschte damit Clark. Der versuchte noch, eine Kollision zu verhindern, berührte aber mit seinem rechten Vorderrad das linke Hinterrad des Ferrari. Trips raste daraufhin über den Grasstreifen am Streckenrand in die Böschung, schleuderte nach oben in den Drahtzaun, hinter dem die Zuschauer standen. Er starb zusammen mit elf Zuschauern, die dicht gedrängt am Zaun standen. 14 weitere wurden vom Wagen getroffen. Vier von ihnen erlagen später ihren schweren Verletzungen.“
Wie Tavoni weiter schilderte, war Clark nach dem Rennen ziemlich durcheinander. „Er kam nach dem Rennen zu uns, um zu erklären, was passiert war. Ihm war nichts vorzuwerfen, es war schlicht ein tragischer Unfall. Hill gewann das Rennen und den Weltmeistertitel. Seine Leistung wurde auch nie angezweifelt, wie waren uns klar, dass er – genau wie Trips – ebenfalls das Zeug dazu hatte, Champion zu werden. Trips wurde in Horrem bei Köln beerdigt, wir wollten alle dabei sein: Phil, Richie und ich selbst. Ferrari sagte, ich dürfe nicht; Laura würde mit zwei seiner Freunde da sein, die nichts mit Motorsport zu tun hatten. Schließlich waren Phil Hill und Richie Ginther zusammen mit Laura Ferrari bei der Beerdigung. Laura Ferrari war anschließend noch bei Taffys Eltern. Als ich später Porsche-Rennleiter Huschke von Hanstein traf, fragte er mich, warum Ferraris Frau beim Begräbnis gewesen sei und ich nicht. Sie habe sich furchtbar benommen und Trips‘ Eltern aufgeregt. Ich habe nie herausgefunden, was da wirklich passiert ist, aber irgendwie passte alles ins Bild.“
Häuslicher Ärger in Maranello
Als sich Laura Ferrari immer mehr ins Formel-1-Team einmischte, führte das irgendwann unweigerlich zum Widerspruch und zum dramatischen Showdown mit dem Commendatore in Modena. Tavoni: „Ferrari hatte Jahre gebraucht, um über den Tod seines 1956 verstorbenen Sohnes Dino hinwegzukommen. Er war auch gesundheitlich angeschlagen und oft krank. Laura nutzte die Gelegenheit, um mehr Einfluss auf die Firmenpolitik zu nehmen. Ferrari war nie bei den Rennen dabei, aber nun reiste Laura mit dem Team. Sie mischte sich zwar nur selten in meine Aufgaben ein, aber wir hatten alle das Gefühl, ständig unter Beobachtung zu stehen. Da größte Problem waren die dauernde Meckerei und die offene Herabwürdigung der leitenden Mitarbeiter vor den jüngeren Angestellten. Mich ließ sie weitgehend in Ruhe, aber ich habe erlebt, wenn andere fertiggemacht wurden. Ich erinnere mich daran, wie sie Carlo Chiti angriff, weil der seine Wohnungsmiete nicht gezahlt habe, obwohl die freie Wohnung zum Vertrag gehörte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht ganz gesund war. Ihr Benehmen hatte jedenfalls Folgen für die Firma, und einige von uns wandten sich an Ferrari. Dieser warnte: ‚Passt auf, das ist mein Problem, mein Leben. Das geht euch nichts an. Ihr seid mit ausreichend Autorität ausgestattet und müsst mich mit so etwas nicht behelligen.‘ Es war unmöglich, ihm klar zu machen, dass Laura dem Unternehmen schadete.“
Besonders betroffen war Buchhalter Ermanno Della Casa. Tavoni schilderte den weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen: „Della Casa sprach darüber mit den Ingenieuren Giotto Bizzarini und Chiti, mit dem Manager Fausto Galassi, der bereits mehrere ernste und unangenehme Auseinandersetzungen mit Laura erlebt hatte, mit Vertriebschef Girolamo Gardini, dem Produktionsleiter Federico Giberti, Personalchef Enzo Selmi und mir. Wir waren uns einig, dass Selmi einen Anwalt in Modena in unserer Sache konsultieren sollte. Am Ende schrieben wir Enzo Ferrari einen Brief, in dem wir ihm das ganze Problem vor Augen führen wollten.“
Eine Antwort bekamen die leitenden Angestellten Ferraris nicht, aber sie gingen davon aus, dass der Commendatore das Thema in der nächsten wöchentlichen Sitzung am letzten Dienstag im Oktober 1961 ansprechen würde. Tavoni war dabei: „Das Treffen begann um 17 Uhr, Ferrari erwähnte unser Anliegen mit keinem Wort und schloss die Sitzung um 17.45 Uhr, also ungewöhnlich früh. Dieses Treffen fand im ersten Obergeschoss statt. Als wir hinuntergingen, erwartete uns bereits mein Sekretär. Er gab jedem von uns einen Umschlag und sagte: ‚Das ist Ihr Monatsgehalt, gehen Sie durch diese Tür, verlassen Sie das Werk und kommen Sie nie wieder.‘ Wir waren schockiert. Wir alle bemühten uns um persönliche Gespräche mit Ferrari, und am Ende durften Galassi, Gardini und Giberti bleiben. Ich sagte zu Ferrari: ‚Ich habe seit 1950 für Sie gearbeitet, und ich habe hart gearbeitet. Sie hatten niemals Grund zur Klage. Ich bin bereit, zu den Bedingungen zurückzukommen, wie sie galten, als ich bei Ihnen anfing.‘ Immerhin hatte ich eine Familie zu ernähren. Ferrari antwortete: ‚Ich brauche Sie, aber mein Entschluss steht fest. Sie haben sich um Sachen gekümmert, die Sie nichts angingen, und ich will Sie nicht mehr im Unternehmen haben.‘ Ich hatte dann das Glück, dass mir die Stelle des Teamleiters in der neuen Firma A.T.S. angeboten wurde. Da blieb ich dann auch, bis A.T.S. nach zwei Jahren am Ende war. Erneut hatte ich Glück und wurde Direktor der Rennstrecke in Monza, und dort blieb ich für den Rest meines Berufslebens.“
Deutschland ehrenvoll vertreten
Im August 2017 erhielt ich Post aus Italien. Romolo Tavoni bedankte sich überschwänglich für ein Buch über Graf Berghe von Trips, das ich ihm zugesandt hatte. Mit Tavonis Erlaubnis darf ich an dieser Stelle den Brief aus Italien in deutscher Übersetzung wiedergeben:
Lieber Herr Födisch,
es hat mich außerordentlich gefreut, diese umfangreiche Dokumentation über Wolfgang Graf Berghe von Trips erhalten zu haben. Wenn ich seine Bilder sehe, berührt mich das zutiefst. Von Trips war eine erstaunliche Persönlichkeit voll menschlicher Größe. Seine Gegenwart verströmte Ruhe und Gelassenheit, ausgesuchte Höflichkeit und Wärme – dies empfanden alle, die ihn kannten.
Ich finde kaum die passenden Worte, um Ihnen gegenüber meine Dankbarkeit auszudrücken. Ich weiß, dass Berghe von Trips ihr großes Idol war und ist. Es freut mich deshalb sehr, dass unter Ihrer Mitwirkung mit Ausstellungen und zahlreichen Exponaten an diesen großen deutschen Rennfahrer erinnert wird. Wolfgang hat seinem Heimatland stets alle Ehre gemacht. Schon beim Betrachten der umfangreichen Dokumentation, die Sie mir geschenkt haben, überkommt mich das tiefe Gefühl, vor vielen Jahren mit Trips einer großen Persönlichkeit begegnet zu sein.
Ich wurde am 30. Januar 1926 in Modena geboren und wohne seit 1930 in Casinalbo. Eine wahre Ewigkeit. Als Sekretär der Scuderia Ferrari und ab 1957 ernannt zum Geschäftsführer und Sportdirektor der Scuderia Ferrari habe ich so viele, zu viele traurige Tage erlebt: Castellotti, De Portago, Musso, Collins, Hawthorn … Aber der Schlag, den mir der Verlust von Wolfgang Graf Berghe von Trips zugefügt hat, bedeutete zugleich auch das Ende meine Tätigkeit bei Ferrari.
Werter Herr Födisch – gestatten Sie mir eine feste UmarmunggRomolo Tavoni
Die „Goldenen Jahre“ (und oft auch so tragischen Jahre) des Motorsports miterlebt hatte auch die Automobil-Fachjournalistin und Buchautorin Thora Hornung. Thora, die mich letztmalig bei meinem Buch „Trips – Bilder eines Lebens“ unterstützt hatte, arbeitete lange Jahre unter Huschke von Hanstein und später Rico Steinemann in der Presse- und Sportabteilung der Firma Porsche. Als Mitarbeiterin des Magazins „Motor Klassik“ befasste sie sich später dann „vorwiegend mit dem Rennsport vergangener Jahre“ – zeitlos lesenswert sind ihre Serien über legendäre Rennstrecken, berühmte Grand-Prix-Piloten und namhafte Rennleiter. 1989 erschien in der „Motor Klassik“ ein vierseitiges Interview mit Ferrari-Teamchef Romolo Tavoni. Daraus nachfolgend einige Auszüge. Thora Hornung starb am 13. Januar 2000 in Stuttgart. Sie bleibt unvergessen!
Der Name „Ferrari“ zieht sich wie ein roter Faden durch das Berufsleben von Romolo Tavoni. Seit ihn Enzo Ferrari 1950 zu seinem persönlichen Sekretär ernannte und zuletzt als „Direttore Gran Premio“ im Autodrom von Monza, als Renndirektor der Rennstrecke von Monza, ist er von diesem Namen nicht losgekommen. Auch Tavonis Chef im „Autodromo“ hieß mit Familienname Ferrari – allerdings nicht verwandt mit dem großen Namensbruder aus Modena und auch ohne Ähnlichkeit in Bezug auf Temperament und Charakter des Mannes, den alle Welt als „Commendatore“ kannte.
Als Ferrari-Rennleiter dirigierte Romolo Tavoni die Spitzenfahrer seiner Zeit, eine internationale Gruppe von Rennfahrern, von denen auch Jahrzehnte später immer noch einige zu den Größten gerechnet werden. In Ihrem Porträt über den Italiener schrieb Thora Hornung damals: „Es sind klingende Namen wie Hawthorn, Castellotti, Collins, Musso, von Trips, Fangio, Gonzales, Phil Hill, Brooks, Gurney, Behra oder Taruffi. Einige dieser ,grandi piloti‘ sind Tavoni nicht nur als Rennfahrer, sondern als wertvolle und noble Menschen besonders in Erinnerung geblieben.“ Der frühere Teamchef der Scuderia Ferrari berichtete der deutschen Motorsportjournalistin 1989: „Mehr als einmal erlebte ich die grenzenlose Fairness und Kollegialität von Peter Collins oder Wolfgang Berghe von Trips, ihren Verzicht auf den eigenen Vorteil zugunsten eines ihrer Kollegen.“
Ganz besonders sei Tavoni ein Großer Preis auf dem Nürburgring in Erinnerung geblieben, so Hornung weiter. Ihr Interviewpartner erzählte ihr: „Es dürfte 1958 gewesen sein. Hier erlebte ich zum ersten Mal, wie sich die Eltern eines Fahrers bei mir als Rennleiter und bei der ganzen Mannschaft dafür bedankten, dass sich ihr Sohn in Modena so wohlfühlte. Graf und Gräfin Trips kamen mit einer riesigen Torte für alle Monteure und Techniker und luden die ganze Ferrari-Mannschaft zu Kaffee und Kuchen ein.“ Überhaupt, so erinnerte sich Tavoni, seien bei Wolfgang Graf Berghe von Trips alle Mechaniker „immer und ganz selbstverständlich eingeschlossen worden, wenn es Grund zum Feiern gab“. Tavoni: „So kam der deutsche Botschafter in Argentinien zum Gran Premio und bedachte mit seiner Aufmerksamkeiten für das Team – ganz sicher auf einen Hinweis von Wolfgang von Trips hin – auch sämtliche Rennmonteure.“
Für den jungen Sekretär Romolo Tavoni – und dann ab der Saison 1956/1957 für den Rennleiter Tavoni – war der Arbeitstag in Maranello im günstigsten Fall ein 12-Stunden-Tag im Dienste Ferraris. Hinzu kam das äußerst schwierige Naturell des Firmengründers. Über Enzo Ferrari heißt es in Thora Hornungs Beitrag von 1989: „Tavoni gerät in tiefsinniges Nachdenken: ,Das Leben und die Person des Commendatore wären sicherlich auch aus psychologischer Sicht eine Fundgrube für Forschungsarbeiten‘. Dann gesteht er mir: ,Während der mehr als zehn Jahre, die ich bei und mit Enzo Ferrari verbrachte, hatte ich kaum einmal die Zeit und die Gelegenheit, solche Überlegungen anzustellen Später aber habe ich mir oft Gedanken gemacht über diese extreme Mischung aus unternehmerischer Genialität und Geltungsdrang, aus narzisstischem Absolutismus und aus seltenen Phasen echter menschlicher Zuwendung, aus Machtbewusstsein und Machthunger auf der einen Seite und aufopfernder Fürsorge zum Beispiel für seinen schwerkranken Sohn Dino auf der anderen Seite. In meiner Ferrari-Zeit habe ich diese Widersprüche nicht so klar gesehen, vermutlich sind sie auch mit den Jahren erst so tief geworden. Aber ich habe, wie viele andere auch, unter diesen Widersprüchen gelitten‘.“
Hornungs Interview mit Romolo Tavoni ist zugleich ein kleines Psychogramm eines weltbekannten Unternehmers und Rennstallbesitzers. Wer Enzo Ferrari ein wenig näher kennenlernen will, dem seien auch heute noch Tavonis Erinnerungen empfohlen. So erzählte dieser seiner Gesprächspartnerin aus Deutschland: „Obwohl von geregelter Arbeitszeit bei Ferrari nie die Rede war, obwohl man zahllose Abende, zahllose Wochenenden in den Dienst der Firma stellte, brachte der Commendatore für jeden persönlichen Einsatz – sofern er das Unternehmen betraf – nie ein Dankeschön über die Lippen, schon gar nicht in Zeiten mit geringen Erfolgen. Er forderte einfach ganz selbstverständlich von sich und seinen Mitarbeitern einen mehr als hundertprozentigen Einsatz. Wenn man aber beispielsweise seinen kranken Sohn besuchte, dann bedankte sich Enzo Ferrari gerührt, oft mit Tränen in den Augen.“
Als persönlicher Sekretär und selbst später noch als Rennleiter erlebte Romolo Tavoni mehr als die menschlichen Facetten des allgewaltigen Firmenchefs. Ob es galt, den Urlaub von Ehefrau Laura Ferrari mit Sohn Dino zu organisieren, oder ein Alibi zu liefern, wenn Enzo Ferrari die Mutter seines unehelichen Sohnes Piero Lardi besuchen wollte, selbst für die persönlichsten Dinge bediente sich Ferrari der Hilfe Tavonis – auch dann, wenn der Commendatore „seinen“ Abt besuchen wollte.
Romolo Tavoni erklärte Thora Hornung diese ganz speziellen Besuche: „Wenn die Dinge in der Firma und privat für Ferrari ganz dick kamen, wenn der Erfolg auf der Rennstrecke ausblieb, wenn ihn einer seiner wertvollen Mitarbeiter verließ, wenn die Sorgen um den bettlägerigen Sohn Dino ihn fast auffraßen, wenn die Krankheit seiner Frau wieder einen ihrer gefürchteten Schübe machte (seine Ehe war alles andere als glücklich), dann fuhr er mit mir nach Cesena, wo er den Abt des dortigen Klosters gut kannte. Ich musste mir auf diese Ausfahrten immer ausreichend Lektüre mitnehmen, denn normalerweise drehten Ferrari und der Geistliche ihre langsamen Runden durch den Kreuzgang über zwei oder drei Stunden hinweg.“ Einmal, so Tavoni, habe ihm Ferrari auf der Heimfahrt von einem dieser Ausflüge nachdenklich anvertraut: „Der Abt ist ein feiner Mensch und ein sehr guter Zuhörer. Von seinen Ratschlägen halte ich jedoch nicht viel, denn uns fehlt die gemeinsame Basis. Ich glaube nicht an Gott und an ein Leben nach dem Tod.“ Zweifelsohne aber gaben diese Gespräche im Kreuzgang dem Ferrari-Chef Kraft und neue Energie. Tavoni: „Von Läuterung zwar keine Spur. Aber nach der Rückkehr aus Cesena trieb er mit altem Elan seine Leute im Werk wieder vehement an und auch seinen gefürchteten Koller stellten sich wieder ein – kurzum, nach dem Gespräch mit dem Geistlichen war er wieder ganz der Alte.“
Wolfgang von Trips gehörte zu den wenigen, denen Enzo Ferrari mehr als oberflächliche Gefühle entgegenbrachte. Thora Hornung hatte diese Beziehung beschrieben „als eine Art Sohn-Ersatz des alternden Commendatore“, der ein Leben lang um seinen am 30. Juni 1956 verstorbenen Sohn Dino trauerte. Trips, so Hornung, sei für Ferrari „eine ritterliche Ausnahmeerscheinung unter seinen Fahrern“ gewesen. Und so habe es ins Bild gepasst, „dass der deutsche Graf im Verlauf der Saison 1961 zum Anwärter auf die Weltmeisterschaftskrone aufstieg“.
Über sein persönliches Aus bei der Scuderia Ferrari berichtete Tavoni in seinem Interview mit der Fachjournalistin: „Nach dem tödlichen Unfall unseres ,Wunschweltmeisters‘ Taffy von Trips beim Großen Preis von Italien in Monza am 10. September 1961, bei dem sein Teamgefährte Phil Hill für uns den Weltmeistertitel errang, wurde die Atmosphäre in Maranello unerträglich – nicht nur für mich. Enzo Ferrari war zu dieser Zeit unkalkulierbar wie nie zuvor, ungerecht. Selbstherrlich spann er seine Fäden. Und selbst Laura Ferrari mischte in der Firmenpolitik kräftig mit. Es kam zu unerfreulichen und heftigen Auseinandersetzungen. Ohne vernünftige und verständliche Gründe wurden wichtige Mitarbeiter gekündigt. Viele von uns solidarisierten sich mit den in Ungnade Gefallenen, und plötzlich steckten wir mitten in der sogenannten Palastrevolution.“ Diese hat zuvor schon Anthony Pritchard ausführlich geschildert …
Es gibt nur noch ganz wenige Zeitzeugen, die Wolfgang Graf Berge von Trips während seiner Karriere im Motorsportbereich begleitet haben. Der 1926 in Formingini geborene Romolo Tavoni, der von 1958 bis 1961 Teamchef der Scuderia Ferrari war, ist einer davon. Er ist nicht nur ein noch lebender großer Name aus der Vergangenheit des italienischen Rennstalls. Er ist auch ein brillanter Chronist, der eine unerschöpfliche Fülle an Erinnerungen an die „Goldene Zeit der Formel 1“ hütet. Für meine Homepage hat mir der frühere Rennleiter folgenden Zeilen vermacht (die wir ins Deutsche übersetzt haben) und die mit dem Prolog beginnen: „Wahre Freundschaften überdauern die Zeit trotz der Entfernung, weil die gleiche Passion die Freunde verbindet. Meine Passion und die von Jörg-Thomas hat einen Namen: Ferrari und seine Rennfahrer.“
Dann schreibt mir Romolo Tavoni: „Meine Freundschaft mit Jörg-Thomas begann 2004, als er mich zusammen mit seiner Lebensgefährtin Julia Klingele in Monza besuchte. Ich war damals Direktor der Rennstrecke, und meine Gäste aus Deutschland wollten an der Unfallstelle von Graf Trips einen Blumenstrauß niederlegen. Thomas hatte mir zuvor am Telefon auch ausführlich über das Trips-Museum in Horrem berichtet und seine Arbeit dort.“
Über Wolfgang Graf Berghe von Trips sagt Tavoni in seinem Brief: „Er war der größte deutsche Rennfahrer der Nachkriegsjahre. Er war von Geburt an als Reichsgraf ein Edelmann – auch charakterlich. Von Trips begann seine Motorsportkarriere unter Huschke von Hanstein, der als Rennfahrer, Rennleiter und Pressechef bis 1974 das Image der Marke Porsche geprägt hat. In jenen Jahren gingen von den Start- und Platzierungsprämien zehn Prozent an die Mechaniker und fünf Prozent an den Porsche-Rennleiter. Wolfgang hatte damals den Mut, von Hanstein nach dem Grund für seine Beteiligung zu fragen, immerhin hatte dieser sicher nicht mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Im Gegenteil! War es Zufall, dass von Hanstein Trips danach kein Fahrzeug mehr überließ, das gute Gewinnchancen hatte? Wie dem auch sei, der Fahrer wechselte danach nach Italien – zu Ferrari. Als Trips uns die Geschichte mit Hanstein erzählte, konnte ich es zunächst nicht glauben. Aber dann berichteten uns auch die Piloten Edgar Barth und Hans Herrmann davon – es stimmte. Zur Solitude bei Stuttgart 1960 schickte von Hanstein später fünf Autos, um sich an Ferrari für den Formel-2-Sieg beim ,Gran Premio di Siracusa‘ auf Sizilien zu rächen. Er lockte Ferrari zur Solitude-Rennstrecke mit einer doppelten Startprämie, um sicher zu sein, dass wir uns auch wirklich beteiligten. Wir traten nur mit einem Fahrzeug an, für Wolfgang. Ich sagte ihm: ,Tu was Du kannst.‘ Und er siegte. Nur wenige Deutsche haben Trips applaudiert!
Über den Großen Preis von Italien in Monza am 10. September 1961 erzählt mir Tavoni in seinem Schreiben: „Phil Hill kam vor dem Rennen zu mir und gestand, er würde gerne auf diesen Formel-1-Lauf verzichten. Er sagte: ,Romolo, Trips ist zu gut und schneller als ich – ich habe ihn in den Kurven gesehen, er nimmt sie mit absoluter Sicherheit. Ich werde drei Runden drehen und dann aufhören‘. Ich schüttete Phil Hill einen Krug mit eiskaltem Wasser über den Kopf. Als Wolfgang den Amerikaner so sah, wunderte er sich. Ich erklärte ihm die Situation. Er meinte tröstend: ,Romolo, ich bin Phils Freund. Er war mir immer äußerst sympathisch, in den USA waren wir ja auch gemeinsam unterwegs.‘ Dann wandte sich Trips an Hill: ,Phil – ich bleibe hinter Dir, ich schütze Deinen Rückraum, sei beruhigt. Du wirst das Rennen gewinnen. Hier bin ich nicht dein Gegner.‘ Um Hill nicht zu beunruhigen, blieb von Trips später beim Großen Preis von Italien stets hinter ihm. Dann berührte Jim Clark mit dem linken Vorderrad das rechte Hinterrad von Taffy und dieser drehte sich. So starb Wolfgang von Trips und Phil Hill gewann die Weltmeisterschaft. Eine solch noble Geste vergisst man nie, sie bleibt fester Bestandteil im Regenbogen eines Lebens.“
Über die „Goldene Ära des Rennsports“ meint Tavoni: „Ja, das waren glorreiche Jahre. Aber die Fahrer waren zur damaligen Zeit die ,Ritter des Risikos‘, fast jedes Wochenende war von Trauer überschattet. Es war eine ganz andere Epoche mit einem ganz anderen Verständnis für den Motorsport, die Rennen bedeuteten vor allem großes Risiko. Heute riskiert man wenig bei Autorennen, und ich bin sehr glücklich, dass der Fortschritt viele Leben gerettet hat.“
Das Jahr 1958 beispielsweise war für Ferrari eine Saison voller großer Emotionen, die mit dem Weltmeisterschaftstitel von Mike Hawthorn endete. Davor hatte die Scuderia die tödlichen Unfälle von Luigi Musso in Reims (am 6. Juli 1958) und Peter Collins auf dem Nürburgring (er verstarb nach dem Unfall in der Eifel am 3. August 1958 in einem Bonner Krankenhaus) verkraften müssen. Dazu Romolo Tavoni: „Im Jahr 1958 stellte Ferrari ein Team von ehrgeizigen jungen Fahrern auf, motiviert im Kampf miteinander um die Vorherrschaft, ausgerüstet mit dem V6 Dino mit 2,4 Litern. Dies ist der 246 F1, mit dem Motor aus der Formel 2 mit 1,5 Litern von 1957, das Fahrzeug hat die Vorderradaufhängung mit Scheibenbremsen. Die Scuderia Ferrari will zurück an die Spitze – nach den Weltmeisterschaften von Alberto Ascari 1952 und 1953 und der von Juan Manuel Fangio 1956. Enzo Ferrari und seine Mannschaft kamen ja aus einer traumatischen Saison 1957: Eugenio Castellotti war am 14. März 1957 während einer Session von Probefahrten die Tribüne des Autodroms von Modena zum Verhängnis wurde; Alfonso de Portago hatte sich am 12. Mai 1957 bei der Mille Miglia nahe Guidizzolo mit seinem Ferrari 335S überschlagen – der Spanier war dabei gemeinsam mit seinem amerikanischen Beifahrer Edmund Nelson und neun Zuschauer, darunter fünf Kinder, ums Leben gekommen.“
Zwischen 1959 und 1968 ist die Formel 1 der „Fabulous 60s – der fabelhaften Sechziger“ das Synonym für Geschwindigkeit, Mut und Nervenkitzel. Ex-Ferrari-Teamchef Tavoni streift in seinem Brief kurz diese rasanten Jahre: „Ferrari muss der englischen Konkurrenz ins Gesicht schauen, die aus Cooper, BRM, Lotus und Brabham besteht. Jim Clark wird der rechtmäßige Nachfolger von Juan Manuel Fangio: der junge schottische Fahrer übernimmt das schwere Erbe des legendären argentinischen Champions und holt sich 1963 und 1965 den Weltmeistertitel. Geschichte schreiben damals auch der Brite Graham Hill, Formel-1-Weltmeister 1962 und 1968, und BRM sowie der Australier Jack Brabham, der sich die Formel-1-Krone in den Jahren 1959, 1960 und 1966 aufsetzen kann. 1968 markieren der technische Fortschritt, das Aufkommen der Sponsoren und der tragische Tod von Clark, der am 7. April 1968 bei einem unbedeutenden Formel-2-Rennen auf dem Hockenheimring stirbt, das Ende der Königsklasse als reine Sportveranstaltung der herkömmlichen Art. Ab jetzt sollten Schau und Werbung diesen Sport dominieren. Schon im Jahr 1961 war die 1954 eingeführte 2,5-Liter-Formel zu Ende gegangen und es war eine neue Regelung festgelegt worden. Diese sah nun den neuen 1,5-Liter-Hubraum vor, auch Ferrari passt sich jetzt der Modernität des Heckmotors an.“
Zum Schluss seines Schreibens an mich zieht Romolo Tavoni eine ganz persönliche Bilanz. Er schreibt: „Manchmal denke ich, dass ich mit meinen 94 Jahren einer der wenigen Überlebenden dieser unglaublichen Epoche bin, die aus Wildheit und Eleganz, Lachen nach Triumphen und Tränen nach tödlichen Unfällen bestand. Diese Epoche ist vergangen, verblasst. Die Rennautos sind heute sicher geworden wie die Rennpisten. Diese Sicherheit hat das Risiko fast auf Null gestellt und das erreichbare Limit ist jetzt nicht mehr die Grenze zwischen Leben und Tod. Ich wünsche mir so sehr, dass in der Erinnerung aller nicht nur die Fahrzeuge, die für eine große Ära standen, sondern vor allem ihre Fahrer in unserer Erinnerung weiterleben. Fahrer, die zu gewinnen liebten weil sie zu fahren liebten und diesen von der Geschwindigkeit dominierten Sport liebten. Ich denke, dass die Namen dieser Piloten, die ihren Sport konsequent lebten, die Namen der vielen Fahrer, die viel zu jung starben, in der Zeit unsterblich werden und bleiben.“