„Die Kreisverwaltung, bestrebt, die traurigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreises und seiner Einwohner zu bessern, hat sich entschlossen, eine Gebirgsrennstrecke zu bauen.“ Mit diesen dürren Worten, zu entnehmen dem Verwaltungsbericht des Landkreises Adenau für das Jahr 1926, beginnt eines der faszinierendsten Kapitel der internationalen Motorsportgeschichte. Ein Kapitel, das sich am allerbesten mit dem Begriff „Mythos Nürburgring“ beschreiben lässt. Gemeint ist damit ein architektonisches Wunderwerk, das auch heute noch bestaunt und befahren werden kann. Das „Monstrum aus Asphalt“, wie Benjamin Fischer den Bau einmal in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschrieb, wird von seinen Fans liebevoll nur „Ring“ oder auch „Nordschleife“ genannt. Alle Bezeichnungen haben die gleiche statistische Grundlage: es geht um 20,8 Kilometer Streckenlänge, einen Höhenunterschied von rund 320 Metern und um 33 Links- und 40 Rechtskurven. Zwei Steilwandkurven und mehrere Sprunghügel gaben und geben dem anspruchsvollen Programm, das die Fahrer auf dieser Rennstrecke rund um die Nürburg erwartete, eine ganz besondere Note. Hinzu kommen die Wetterkapriolen der Eifel, die die Straßen in dieser Region besonders tückisch machen können. Der dreimalige Formel-1-Weltmeister Jackie Stewart erfand 1968 den Namen „Grüne Hölle“, denn nirgendwo auf der Welt wurde und wird ein Rennfahrer mehr gefordert als in der Hocheifel auf dem legendären Nürburgring. Das Markenrecht auf seinen Slogan „Grüne Hölle“, der im Laufe der Zeit selbst zum sprachbildlichen Mythos geworden ist, hat sich der Schotte übrigens nie gesichert …
90 Jahre Nürburgring
„Zuverlässigkeitsfahrt“ von Paris nach Rouen ist die Mutter aller Rennen
Als der deutsche Ingenieur Carl Friedrich Benz im Jahr 1886 den ersten motorisierten Wagen erfand, reisten die Menschen noch mit der Pferdekutsche oder der Eisenbahn. Bereits acht Jahre später, am 22. Juli 1894, fand mit einer „Zuverlässigkeitsfahrt“ von Paris nach Rouen das erste Autorennen der Welt statt. Die Spitzengeschwindigkeit betrug damals den Chronisten zufolge 20 Stundenkilometer. In der Folge wurden immer öfter Rennen auf öffentlichen Straßen ausgetragen, so beispielsweise das Gordon-Bennett-Rennen am 17. Juni 1904 auf einem Rundkurs bei Homburg durch den Taunus. Es war zwar nicht die Premiere des Automobilrennsports hierzulande (bereits im Mai 1898 hatte mit dem „Automobilrennen von Berlin nach Potsdam und zurück“ der „erste Automobilisten-Wettbewerb im Kaiserreich“ stattgefunden), dafür aber die eigentliche Auftaktveranstaltung der neuen Sportsparte in Deutschland.
Bei aller Euphorie für das Auto und den aufkommenden Motorsport wurde allerdings in jenen Pioniertagen der Ruf nach mehr Sicherheit immer lauter. Auch die Fahrzeugindustrie drängte plötzlich auf eine Rundstrecke abseits öffentlicher Straßen, um neue Entwicklungen in Ruhe testen zu können. In Deutschland entschieden sich die Verantwortlichen letztendlich für die Eifel und das Adenauer Land, das geprägt ist durch die vulkanischen Kuppen Hohe Acht und Aremberg sowie die Nürburg.
Riesiges Beschaffungsprojekt zur nachhaltigen Strukturförderung in der Eifel
Der Landkreis Adenau zählte zu Zeiten der Weimar Republik zu den ärmsten Kreisen im Deutschen Reich. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren fatal. Die Region zog keine Investoren an, Industrie und Handel blieben fern. Rohstoffe waren Mangelware, die Verkehrsverbindungen miserabel und die Absatzschwierigkeiten für die wenigen heimischen Produkte enorm. Das ortsansässige Tabak- und Tuchgewerbe spielte schon längst keine wesentliche Rolle mehr. Wegen der überwiegenden Ödlandschaft, dem steinigen Boden und der steilen Hänge, bestand die Landwirtschaft aus Klein- und Kleinstbetrieben. Die Bauern und ihre Familien waren auf Nebenerwerb angewiesen. Boten auch diese bescheidenen Zusatzeinkünfte, die hauptsächlich in der Waldwirtschaft gesucht wurden, kein Auskommen mehr, so blieb nur noch die Abwanderung in fernab liegende Industriegebiete. Viele, vorwiegend junge Menschen, suchten damals ihr Glück gar in der Auswanderung nach Übersee.
Im Jahr 1925 lebten im Landkreis Adenau mit seinen sechs Gemeinden – so geht aus alten Amtsunterlagen hervor – 25.153 Einwohner, von denen die meisten dem kargen Boden durch Ackerbau und Viehzucht ihren Lebensunterhalt abtrotzten. Der Bau einer „Gebirgs-, Renn- und Prüfstrecke“ war demnach in erster Linie ein riesiges Beschaffungsprojekt zur nachhaltigen Strukturförderung in der Eifel. Darüber hinaus sollte hier die aufstrebende Autoindustrie ein anspruchsvolles Testgelände bekommen.
Mit „dem Messer zwischen den Zähnen“ über die Nordschleife
Dass dem Begriff „anspruchsvoll“ das Relative innewohnt, lässt sich gut am Nürburgring beobachten. Starke Straßenneigungen, plötzliches Gefälle, Steigungen bis zu 27 Prozent und abschüssige Teilstücke bis zu elf Prozent, uneinsehbare Kurvenabschnitte und blinde Kuppen haben bei manch einem Fahrer ungezügelte Freude ausgelöst, bei manch einem eher respektvolles Unbehagen. Immer wieder wird – quasi von Journalisten-Generation zu Journalisten-Generation – die Geschichte des britischen Zeitgenossen erzählt, der nach den Eröffnungsrennen am Nürburgring am 18. und 19. Juni 1927 gesagt haben soll, man habe wohl zu Beginn der Bauarbeiten „einen torkelnden Riesen im Vollrausch losgeschickt, um in der Eifel die Strecke festzulegen“.
Aber es gibt auch Stimmen, die das Anspruchsvolle dieses Rundkurses treffender beschreiben. Der Brite Stirling Moss etwa, einer der besten Formel-1-Fahrer seiner Zeit, sagte einmal: „Wir sprechen hier von der grandiosesten Rennstrecke der Welt. Über die Nordschleife zu fahren, ist eine echte Herausforderung. Nach jeder gelungenen Runde weißt du, dass du etwas Tolles geleistet hast. Du musst dabei aber wirklich das Messer zwischen den Zähnen haben.“ Auf seine Grand-Prix- und 1000-Kilometer-Rennen am „Ring“ zwischen 1953 und 1961, so Moss, habe er sich „immer lange vorher gefreut“.
Für alle Rennfahrer eine ultimative Herausforderung
Der deutsche Automobilrennfahrer Hans Herrmann war einer der vielseitigsten deutschen Piloten, der bei unterschiedlichsten Rennarten auf verschiedensten Marken antrat. 1954 und 1955 war der gebürtige Stuttgarter Mitglied des legendären Mercedes-Aufgebots. Herrmann über den Eifelkurs: „Die Anforderungen, die der Nürburgring stellt, findest du auf anderen Rennstrecken nur verstreut, am ,Ring‘ jedoch im Konzentrat alles zusammen.“ Und: „Der Sieg gibt dir die ultimative Befriedigung. Aber wenn das am Nürburgring geschieht, kommt ein ganz besonderer Bonus hinzu.“
Der ehemalige englischer Formel-1-Rennfahrer und Vize-Weltmeister des Jahres 1959 Tony Brooks freute sich, als er die „anspruchsvolle“ Strecke in der Eifel erstmalig befahren durfte. In seinen Erinnerungen gibt der Pilot aber zu, den Kurs keineswegs „anheimelnd“ empfunden zu haben. Brooks: „Die Nürburg, gehüllt in Nebelschwaden, machte auf mich einen ziemlich abweisenden Eindruck. Sie schien einen unheimlichen Zauber auf die ganze lange Strecke auszuüben. Meine Ehrfurcht wuchs.“ An anderer Stelle erklärt Brooks: „Die Gefahr am Ring besteht für den Anfänger darin, dass er meint, er habe den richtigen Durchblick, bevor das wirklich der Fall ist. Zu derartigen Denkfehlern trugen nicht zuletzt die Hecken bei. Manchmal kam ich mir vor wie in dem berühmten Irrgarten von Hampton Court.“
Moss, Herrmann und Brooks leben noch. Der am 20. Mai 2019 verstorbene österreichische Formel-1-Fahrer Niki Lauda, der zwischen 1971 und 1985 in der Königsklasse an den Start gegangen und dabei dreimal Weltmeister geworden war, hatte den Nürburgring so beschrieben: „Für den Rennfahrer stellt er die ultimative Herausforderung dar, hinsichtlich seiner Risikobereitschaft, seiner Fahrkunst und der vielen Hürden, die in der Eifel überwunden werden müssen. Das gilt und galt im Laufe dieser mehr als 90 Jahre für alle, die dort gestartet sind – damals in den Dreißigern für die Generation um Caracciola, in den Fünfzigern für Fangio und seine Zeitgenossen, für heute – je nach dem Wagenmaterial und der jeweils aktuellen Beschaffenheit und Verfassung der Strecke.“
Nun wissen wir ein wenig mehr über das Anspruchsvolle dieser „Gebirgs-, Renn- und Prüfstrecke“, deren Straßenband sich 20,832 Kilometer lang durch die Eifel windet – rund um die Ruine Nürburg, dem Wahrzeichen einer Region, dem späteren Markenzeichen für den „Mythos Nürburgring“.
Eröffnung 1927 mit dem „Eifelrennen für Wagen und Motorräder“
Die gigantische „Notstandsmaßnahme im Rahmen der Erwerbslosenfürsorge im ärmsten Kreis des Landes Preußen“ hatte offiziell am 1. Juli 1925 begonnen. Den Bau hatte der Kreistag von Adenau etliche Wochen zuvor, am 18. Mai 1925, beschlossen. Mit der Bauleitung beauftragt worden war dann das Ingenieurbüro Gustav Eichler aus Ravensburg.
Es sollte nur knapp zwei Jahre dauern, ehe das Werk vollendet werden konnte. Bis zu 2500 Arbeiter waren in diesen Monaten in der Eifel in Lohn und Brot, bewegten rund 337.000 Kubikmeter Erde und Gestein und verarbeiteten mehr als 11.000 Kubikmeter Beton. Ursprünglich waren die Baukosten für das Projekt auf 2,5 Millionen Reichsmark veranschlagt worden. Ein Jahr nach dem ersten Spatenstich musste die inzwischen bereits korrigierte Kostenvorschau von 5,1 Millionen auf 8,1 Millionen Reichsmark geändert werden. Am Schluss schlugen 14 Millionen Reichsmark zu Buche (Kaufkraftäquivalent etwa 54,6 Millionen Euro).
Am 18. Juni und 19. Juni 1927 wurde die Nordschleife zusammen mit der Start-und-Ziel-Schleife (ein bis 1982 vorhandener 2,292 Kilometer langer Teil des Nürburgrings) und der Südschleife (die 7,747 Kilometer lange Streckenvariante, 1984 abgerissen) feierlich eröffnet. Der ADAC-Gau Rheinland nannte seine damaligen Eröffnungsrennen „Eifelrennen für Wagen und Motorräder“. Der Name „Eifelrennen“ wurde im Laufe der Jahre weltweit zu einem festen Begriff.
Rund 85.000 Zuschauer kamen damals an diesen beiden Junitagen zum „Ring“. Die Veranstalter zählten mehr als 20.000 Privatfahrzeuge, die in den gekennzeichneten Parkzonen abgestellt worden waren. Das Publikum, das dichtgedrängt an der neuen Strecke stand, feierte am zweiten Renntag Rudolf Caracciola im Mercedes S, den ersten Sieger eines Automobilrennens auf dem Nürburgring.
Caracciola, am 30. Januar 1901 im linksrheinischen Remagen als Sohn des Hoteliers und Weingroßhändlers Otto Caracciola und dessen Frau Laurina geboren, war neben Bernd Rosemeyer der erfolgreichste und berühmteste deutsche Grand-Prix-Fahrer der Vorkriegszeit. Zwischen 1930 und 1939 stellte „Carratsch“, wie der Rennfahrer auch gerufen wurde, alles in allem 17 Weltrekorde auf. In den Jahren bis 1939 prägte er zusammen mit Manfred von Brauchitsch und Hermann Lang die Ära der Mercedes-„Silberpfeile“ und wurde dreimal Europameister.
1928 gewann der Remagener zum zweiten Mal in der Eifel den Großen Preis von Deutschland, der danach regelmäßig auf dem Nürburgring ausgetragen wurde.
Ein „vielgliedriges Ungeheuer“, das immer wieder Opfer forderte
Der Nürburgring hat nach seiner Eröffnung alle berühmten Fahrer der Vorkriegsjahre bis 1939 gesehen. Ob Rudolf Caracciola, Louis Chiron, Luigi Fagioli, Giuseppe Farina, Rudolf Hasse, Hermann Lang, Tazio Nuvolari, Bernd Rosemeyer, Richard Seaman, Hans Stuck, Achille Varzi oder Manfred von Brauchitsch – sie alle schrieben in der Eifel Motorsportgeschichte, die unter Rennsportfans immer noch lebendig ist.
Aber die „Grüne Hölle“, wie der Eifelkurs später genannt werden sollte, forderte auch immer wieder Opfer. Der erste tote Fahrer war der tschechoslowakische Bankier und Bugatti-Pilot Vincenz Junek, der am 15. Juli 1928 im Streckenabschnitt „Bergwerk“ verunglückte. Zuvor hatte an diesem Renntag der Frankfurter Privatfahrer Ernst von Halle im Bereich „Kesselchen“ die Kontrolle über seinen Amilcar verloren – das Fahrzeug überschlug sich, eine Lungenquetschung überlebte der Pilot nicht und verstarb tags darauf. Am 28. September 1929 kam auf der Steilstrecke des Nürburgrings im Training zu einer ADAC-Langstreckenfahrt der BMW-Fahrer Wilhelm Heine, Mitglied des Herzoglichen Automobilclubs von Braunschweig, ums Leben. Am 27. Mai 1932 verunglückte der Berliner Heinrich-Joachim von Morgen beim Training zum Eifelrennen tödlich.
Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs starben vier weitere Fahrer auf der Eifel-Strecke, unter ihnen Ernst von Delius. Der Auto-Union-Pilot berührte am 25. Juni 1937 in der siebten Runde des Großen Preises von Deutschland bei einem Überholvorgang den Wagen des Mercedes-Fahrers Richard Seaman. Während der Engländer die Kollision mit leichteren Verletzungen überstand, erlag von Delius am Morgen des nächsten Tages in Bonn seinen schweren Verletzungen.
Wie das Wochenmagazin Stern einmal in einem Bericht über den Nürburgring schrieb, sind seit dem Jahr 1928 bis zum tragischen Feuerunfall von Niki Lauda am 1. August 1976 beim Großen Preis von Deutschland, den der Ferrari-Pilot wundersam überlebte, 78 Rennfahrer auf der Nord- und Südschleife umgekommen. Ein englischsprachiger Wikipedia-Beitrag – letztmalig überarbeitet im August 2019 – gibt die Zahl der tödlichen Unfälle am „Ring“, die sich während des Trainings oder während der offiziellen Rennwettbewerbe mit Autos und Motorrädern ereigneten, für den Zeitraum 1928 bis 2013 mit insgesamt 69 an. Hinzu kommen laut dieser Statistik fünf weitere tödliche Unfälle bei Testfahrten.
Spätestens an dieser Stelle erinnern wir uns an den Formel-1-Champion Jackie Stewart, der der „Grünen Hölle“ gleich dreimal als Sieger entkommen konnte (1968, 1971 und 1973). Der Schotte im Rückblick auf den legendären Kurs mit seinem unvergleichlichen Kurvenlabyrinth und klangvollen Abschnitten: „Diese Strecke ist wie ein vielgliedriges Ungeheuer. Mir gefällt sie am besten, wenn ich an Winterabenden an einem Kaminfeuer sitze und nur darüber nachdenke.“ Hat Stewart, wenn er die Augen schließt und in Gedanken noch einmal durch die Vulkanlandschaft bei Adenau rast, dann all die magischen Punkte der klassischen Nordschleife vor sich? Hatzenbach, Quiddelbacher Höhe, Schwedenkreuz, Fuchsröhre, Adenauer Forst, Wehrseifen, Exmühle, Bergwerk, Kesselchen, Karussell, Hohe Acht, Wippermann, Brünnchen, Pflanzgarten, Schwalbenschwanz oder Antoniusbuche? Namen, mit denen sich auch tragische Geschehnisse verknüpfen lassen? …
Deutscher Motorsport in der Zeit des Nationalsozialismus
Es war und ist auch noch heute eine unglaubliche Zahl: Mehr als 100.000 Motorsportbegeisterte waren am 23. Juli 1939 in die Eifel gekommen, um die Helden des „12. Großen Preises von Deutschland für Rennwagen“ hautnah mitzuerleben. Sie bestaunten das Luftschiff „Graf Zeppelin“, das über der Rennstrecke kreiste und an Bord die technische Ausstattung für die technische Konferenzschaltung aller deutschen Radiosender hatte. Keiner konnte an diesem Julitag ahnen, dass der Grand Prix 1939 für viele Jahre die letzte Veranstaltung dieser Art in der Eifel sein würde. Wenige Wochen später, am 1. September, begann mit dem Überfall des faschistischen Deutschland auf Polen der Zweite Weltkrieg.
In seinem 2017 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Beitrag „Schwer zu fahren, leicht zu sterben“ behandelte Sportredakteur Thomas Harloff unter anderem den deutschen Motorsport unter der Herrschaft der Nationalsozialisten: „Von Hitlers Regime mit enormen Summen finanziert, bauten Mercedes und die Auto Union hochprofessionelle und erfolgreiche Rennteams auf. Der Nürburgring erlebte in dieser Zeit einen Aufschwung, hier und auf der Berliner Avus fanden die großen Rennen statt.“ Es war die Zeit, in denen der Rennsport zum Propagandainstrument verkam.
Krieg, Besatzungszeit und Wiederaufbau in der Eifel
Während der Kriegsjahre war der Nürburgring so gut wie verwaist. Rennen fanden nicht mehr statt. Auch die Kraftfahrzeugindustrie hatte ihre Testreihen nahezu völlig eingestellt. Vereinzelt kamen noch Vertriebene aus den Städten ins Adenauer Land. Die Menschen hörten hier jetzt zwar keine Motoren auf der Rennstrecke mehr, dafür aber das Dröhnen der Bomber, die über den „Ring“ zu den westdeutschen Städten flogen und diese in Schutt und Asche legten.
Bald musste die Drahteinzäunungen um die Rennstrecke in einer Gesamtlänge von 34 Kilometern abgebaut und an die deutsche Rüstungsindustrie übergeben werden. Das Nürburgring-Sporthotel „Tribüne“ wurde zunächst ein Lazarett, später auch Sitz eines Divisionsstabes. Die Parkflächen im Start- und Zielbereich nutzte die örtliche Bevölkerung nach einiger Zeit als Acker- und Weideland.
In den ersten Märztagen des Jahres 1945 fuhren von Westen her kommend amerikanische Panzer in Müllenbach auf die Südschleife. Die alliierten Soldaten wussten nicht, dass sie sich auf einer der schönsten Rennstrecke der Welt befanden. Sie nutzten die Asphaltpiste für ihren zügigen Vorstoß an den Rhein und schredderten dabei mit den Panzerketten große Teile der Fahrbahn. Dies sollten nicht die einzigen Kriegsschäden bleiben: Das Sporthotel wurde geplündert, mehrere technische Anlagen bei Start und Ziel wurden demontiert, ein Verwaltungsgebäude brannte fast vollständig ab. Doch kaum war der Schrecken der Nazi-Diktatur am Ende, folgte der Wiederaufbau. Am 17. August 1947 fand bereits wieder das erste Rennen auf der Südschleife statt.
Am 22. Mai 1949 sahen dann Abertausende auf der Nordschleife das „Eifelpokal-Rennen“ und am 7. August 1949 den „Großen Preis vom Nürburgring“, bei dem auch wieder einige englische, französische und niederländische Fahrer antraten.
Die Goldene Epoche des Rennsports auf dem Nürburgring
Die späten 1950er- und die 1960er-Jahre gelten als Goldene Zeit des Nürburgrings. Am 29. Juli 1951 gastierte erstmals in der Eifel die im Vorjahr aus der Taufe gehobene neue Rennserie „Formel 1“, die zugleich als Automobil-Weltmeisterschaft ausgetragen wurde. Diese Premiere, den „14. Großen Preis von Deutschland“, der zugleich das sechste Rennen der Automobil-WM 1951 war, gewann der Italiener Alberto Ascari (Ferrari) vor den beiden Argentiniern Juan Manuel Fangio (Alfa Romeo) und José Froilán González (Ferrari).
Als ab 1954 die „Silberpfeile“ von Mercedes wieder an der Weltmeisterschaft teilnahmen, kannte die Begeisterung in Deutschland keine Grenzen. Etwa 400.000 Zuschauer machten sich am 1. August jenes Jahres auf in die Eifel, um den „17. Großen Preis von Deutschland“, der zugleich als „Großer Preis von Europa“ ausgeschrieben worden war, mitzuerleben. Es siegte Fangio, der im Laufe seiner Rennfahrerkarriere insgesamt fünf Mal Formel-1-Weltmeister werden sollte.
Wie die späten 1920er- und die 1930er-Jahre, so hatten auch die Jahre 1951 bis 1959 Piloten, die den schwierigen Eifelkurs dominierten und große motorsporthistorische Spuren hinterließen. Über allen Stars jener Periode steht der argentinische Ausnahmefahrer Juan Manuel Fangio, gefolgt von Tony Brocks, Peter Collins, Mike Hawthorn und schließlich Stirling Moss aus Großbritannien. Aber auch deutsche Fahrer wie Hans Herrmann oder Karl Kling haben damals Nürburgring-Geschichte mitgeschrieben. Hinzu kamen die Franzosen Jean Behra und Maurice Trintignant, die Italiener Eugenio Castellotti, Giuseppe Farina, Luigi Musso und Piero Taruffi, außerdem der Belgier Paul Frère. Nicht zu vergessen die US-Fahrer jener Tage: Masten Gregory, Dan Gurney, Phil Hill und Harry Schell. Oder Nachwuchshoffnungen wie der Australier Jack Brabham, der Schwede Joakim Bonnier und der Deutsche Wolfgang Graf Berghe von Trips, die alle in den Jahren 1957 oder 1958 erste WM-Punkte einfahren konnten.
Ende der 1950er-Jahre war der Nürburgring endgültig zur unangefochtenen Heimat des deutschen Motorsports geworden. Dazu Thomas Harloff in der Süddeutschen Zeitung: „Auf der Avus kam es immer wieder zu schweren Unfällen, einige davon mit tödlichem Ausgang. Die Formel 1 kehrte dem Berliner Hochgeschwindigkeitskurs den Rücken und wandte sich vollständig dem Nürburgring zu. Aber auch hier starben die Rennfahrer. Der erste Formel-1-Tote in der Eifel war der Argentinier Onofre Marimón, der am 31. Juli 1954 im Training mit seinem Maserati im Bereich der Abfahrt ,Wehrseifen‘ in die Bäume schleuderte.“
Eine deutsche Tragödie im italienischen Monza
Beherrschte der Argentinier Fangio in den 1950er-Jahren den „Ring“, so triumphierte dort zwischen 1968 und 1973 der Schotte Jackie Stewart, der dreimal in der Eifel auf der obersten Stufe des Grand-Prix-Siegerpodestes stand (1968, 1971 und 1973). Zweimal erfolgreich war der Engländer John Surtees, der als einziger Fahrer sowohl Motorrad- als auch Formel-1-Weltmeister werden konnte. Er gewann die Großen Preise in der Eifel 1963 und 1964. Später konnte auch der Belgier Jacky Ickx zwei Grands Prix am Nürburgring gewinnen: 1969 und 1972.
Für den deutschen Motorsport hatten die 1960er-Jahre verheißungsvoll begonnen. Wolfgang Graf Berghe von Trips befand sich auf einem wahren Siegeszug durch die Königsklasse und hatte am 10. September 1961 beim Großen Preis von Italien in Monza die Chance, den Weltmeistertitel in der Formel-1-Fahrerwertung zu erringen. Ganz Deutschland lauschte am Radio. Und ganz Deutschland stand unter Schock, als der Ferrari-Pilot in der zweiten Runde des Rennens mit dem Schotten Jim Clark kollidierte. Der rote Rennwagen raste eine Böschung hinauf und tötete mehrere Zuschauer; rund 60 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Trips wurde aus dem Fahrzeug geschleudert und war auf der Stelle tot.
Wenn man die klangvollen Fahrernamen der frühen Sechziger Revue passieren lässt, so fällt immer noch die große Lücke auf, die Graf Berghe von Trips mit seinem Tod in Monza hinterlassen hat. Er hätte nach dem möglichen Gewinn des WM-Titels die kommenden Jahre der Formel 1 entscheidend mitprägen können. Es sollte nicht sein. Motorsportgeschichte wurde fortan von anderen Fahrern geschrieben – von den Briten Jim Clark, Graham Hill, Jackie Stewart oder John Surtees, von den Amerikanern Richie Ginther und Dan Gurney, von den beiden Italienern Lorenzo Bandini und Ludovico Scarfiotti, von Jack Brabham aus Australien oder Chris Amon, Denis Hulme und Bruce McLaren aus Neuseeland.
Der deutschsprachige Raum war zu jener Zeit – gerade nach dem Tod von Trips – stolz auf den Korntaler Gerhard Mitter(er starb am 1. August 1969 am Nürburgring beim Training zum Großen Preis von Deutschland), den Österreicher Jochen Rindt oder Jo Siffert aus der Schweiz.
In Erinnerung geblieben ist uns aus jenen Jahren auch Carel Godin de Beaufort. Der Niederländer verunglückte beim Training zum Großen Preis von Deutschland 1964 auf dem Nürburgring schwer und starb am 2. August 1964 in einem Kölner Krankenhaus an den Folgen seiner Verletzungen.
Eine neue Rennfahrergeneration versucht sich am Nürburgring
Mit Beginn der 1970er-Jahre gaben neue Piloten ihre Visitenkarten bei den Chronisten des Nürburgrings ab. Aus manch einem wurde später ein Rennsportstar. Manch einer endete nach kurzer Karriere tragisch, wie beispielsweise die französische Motorsport-Hoffnung François Cevert, in dem viele einen zukünftigen Formel-1-Weltmeister sahen (Cevert starb am 6. Oktober 1973 in Watkins Glen im Training zum Großen Preis der USA).
In die Annalen des „Rings“ neu eingetragen haben sich mit Beginn jenes Jahrzehnts unter anderem die Briten Mike Hailwood und James Hunt, der Schwede Ronnie Peterson, die Amerikaner Mario Andretti und Peter Revson, die Brasilianer Carlos Pace und Emerson Fittipaldi, der Argentinier Carlos Reutemann, der Südafrikaner Jody Scheckter, die Franzosen Jean-Pierre Beltoise, Patrick Depailler, Jacques Laffite und Henri Pescarolo, die Deutschen Jochen Mass, Rolf Stommelen und Hans-Joachim Stuck, der Schweizer Clay Regazzoni und nicht zuletzt der Österreicher Niki Lauda. Mit seinem Namen ist ein besonderes Kapitel in der langen Historie des Eifelkurses verbunden – das zwischenzeitliche Aus!
Als der Tod noch ständiger Begleiter in der Formel 1 war
Es ist schon wieder einige Jahre her. Am 5. Oktober 2014 kommt der französische Formel-1-Pilot Jules Bianchi beim Großen Preis von Japan in Suzuka in der 41. Runde auf regennasser Fahrbahn von der Strecke ab und prallt in das Heck eines Bergungsfahrzeugs, mit dem gerade ein zuvor von der Strecke abgekommenen Wagen geborgen werden soll. Das Rennen wird abgebrochen, Bianchi zunächst an der Rennstrecke notfallmedizinisch versorgt und dann in die nahe Universitätsklinik gebracht. Dort wird der Franzose operiert. Nach neun Monaten im Koma stirbt Bianchi am 17. Juli 2015 im Krankenhaus von Nizza an den Spätfolgen des Unfalls.
Rund zwanzig Jahre lang – vom tödlichen Unfall des Brasilianers Ayrton Senna im italienischen Imola am 1. Mai 1994 bis zum Crash in Suzuka am 5. Oktober 2014 – waren in der Formel 1 keine Piloten mehr ums Leben gekommen. Dies ist auch nach dem Tod von Jules Bianchi bis heute so geblieben. Aber es gab Zeiten, da war die Formel 1 durchdrungen von Schwarzen Stunden.
Bis Mitte der 1990er-Jahre war Rennsport ein gefährliches, ja teilweise mörderisches Unterfangen. Das Fachmagazin Auto, Motor und Sport hatte einmal ermittelt, dass „von den 775 Piloten, die je bei einem Grand Prix am Start standen, 79 im Rennauto zu Tode gekommen sind“. Mehr als 40 Prozent seien in einem Formel-1-Auto gestorben, so das Magazin, „der Rest in anderen Kategorien – vom Bergrennen bis zum Indy 500“.
Erstaunlicherweise blieb die Formel 1 bis zum Jahr 1954 von tödlichen Unfällen verschont. Das erste Opfer war – wie bereits erwähnt – der Argentinier Onofre Marimón, der am 31. Juli 1954 auf dem Nürburgring in der Abfahrt „Wehrseifen“ wegen eines blockierenden Vorderrades von der Strecke abkam. Der Maserati überschlug sich, Marimón starb noch am Unfallort. Es war der erste Todesfall in einem Rennen zur Formel-1-WM der Fahrer. Insgesamt starben in den Grand-Prix-Läufen bisher 25 Piloten. Weitere Formel-1-Fahrer ließen ihr Leben beispielsweise bei Langstreckenrennen oder bei Testfahrten.
Besonders Ferrari wird in den Jahren 1957 und 1958 hart getroffen – Unfälle löschen das komplette Werksteam der Scuderia aus. Eugenio Castellotti stirbt am 14. März 1957 bei einer Testfahrt in Modena, Alfonso de Portago verunglückt am 12. Mai 1957 bei der Mille Miglia in der Provinz Mantua und reißt seinen Beifahrer Edmund Nelson sowie zahlreiche Zuschauer mit in den Tod. Am 6. Juli 1958 beim Großen Preis von Frankreich in Reims steuert Ferrari-Pilot Luigi Musso seinen Wagen in einer langen schnellen Kurve mit rund 200 Stundenkilometern in einen Graben und wird aus dem Sitz geschleudert. Knapp einen Monat später, am 3. August 1958, verliert der britische Ferrari-Fahrer Peter Collins beim Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring in eine Rechtskurve ausgangs der „Pflanzgarten“-Senke die Kontrolle über das Fahrzeug und wird aus dem Cockpit katapultiert – wenige Stunden später müssen die Ärzte in einem Bonner Krankenhaus, wohin Collins mit dem Hubschrauber gebracht worden ist, die Todesnachricht bekanntgeben. Teamgefährte Mike Hawthorn kommt drei Monate nach dem Gewinn der Formel-1-Weltmeisterschaft bei einem Verkehrsunfall auf der Insel ums Leben. Der nächste Ferrari-Angehörige, den das Unternehmen betrauern muss, ist im September 1961 Wolfgang Graf Berghe von Trips.
Lange Zeit akzeptierten Beteiligte und Zuschauer tödliche Unfälle bei Rennsportveranstaltungen als unvermeidbare Tiefen eines ansonsten aus vielen Höhen bestehenden, spannenden Sports. Wie im Boxgeschäft, so waren auch in dieser Sportart tote und schwerverletzte Akteure offenbar unvermeidbare Opfer der Show. Peter Wright ist wandelnde Kompetenz. Der britische Ingenieur, ehemaliger Rennwagen-Konstrukteur in der Formel 1 und FIA-Sportfunktionär, hat die dunkelsten Tage des Motorsports miterlebt – als der Tod noch ständiger Begleiter war. In einem Interview sagte Wright einmal: „Ich kam 1967 in die Formel 1. Im Jahr darauf hatten wir eine Serie, bei der in jedem Monat ein Fahrer gestorben ist. Jim Clark, Mike Spence, Ludovico Scarfiotti, Jo Schlesser. Nichts passierte. Die Leute waren nicht fahrlässig. Sie wussten es nur nicht besser. Und sie haben nicht verstanden, dass regelmäßige Todesfälle inakzeptabel für den Sport sind.“
Zeit war reif für die ersten Boykottmaßnahmen in der Königsklasse
Als der italienische Automobilrennfahrer Lorenzo Bandini 10. Mai 1967 in Monte Carlo beim Großen Preis von Monaco vor laufenden Kameras in seinem Ferrari 312F1 verbrannte, empörte sich erstmals die Öffentlichkeit. Die Todesserie des Jahres 1968 verstärkte das Gefühl, dass es so, wie dieser Sport bisher ausgeübt worden war, nun nicht mehr weitergehen konnte.
Ende der 1960er-Jahre kämpften die Fahrer erstmals intensiv für mehr Sicherheit auf und an den Rennstrecken. Ihr Wortführer war der dreifache Formel-1-Weltmeister Jackie Stewart, der sich nach seinem Unfall 1966 auf der Strecke von Spa-Francorchamps entschlossen an die Spitze der Kampagne gesetzt hatte. Noch heute denkt der Schotte mit Schrecken an den 12. Juni und den Großen Preis von Belgien jenes Jahres zurück. Bei strömendem Regen war sein BRM. damals von der Piste abgekommen und hatte sich überschlagen. Stewart war im Cockpit eingeklemmt, während das Benzin aus dem 200 Liter fassenden Tank langsam in seine Sitzmulde auslief. Andere Fahrer konnten ihn aus dem Wrack befreien.
Stewart, der 1968 ein Regenrennen am „Ring“ mit vier Minuten Vorsprung – eine Rennsport-Ewigkeit – gewonnen und den markanten Begriff von der „Grünen Hölle“ geprägt hatte, hielt besonders den Nürburgring für viel zu gefährlich. 1969 hatte er bereits einen Fahrerboykott für Spa organisiert (dort hatte es bei seinem Unfall keinen Streckenposten gegeben, keinen Arzt, keine Kommunikationsmöglichkeit; der Fahrer des mit großer Verspätung eingetroffenen Rettungswagens fand später das Krankenhaus in Lüttich nicht.
1970 boykottierten die Fahrer unter Stewarts Führung schließlich auch den Nürburgring – die Formel 1 wechselte in diesem Jahr nach Hockenheim. Zuvor, am 8. Juli 1970, hatte es zwischen den Vertretern der Piloten und der Nürburgring GmbH ein Treffen gegeben. Die Fahrer hatten dabei ihr 18-Punkte-Programm zur Abänderung der Nordschleife präsentiert, das die Sicherheit der Strecke nachhaltig erhöhen sollte. Der Betreiber sah sich außerstande, innerhalb der verbleibenden Zeit bis zum Großen Preis von Deutschland am 2. August alle Forderungen aus dem Katalog abzuarbeiten. 1968 hatte der Veranstalter am Nürburgring meuternden Fahrern noch zugerufen: „Mein Herren, wenn Sie nicht fahren wollen, finden wir andere.“ Diesmal saßen die Akteure am längeren Hebel und starteten am Hockenheimring.
Fangzäune, Leitplanken und mitunter kleine Auslaufzonen
Wie die Sicherheitssituation zu jener Zeit insgesamt war, schilderte Michael Schmidt für das Magazin Auto, Motor und Sport: „In den ersten 25 Jahren der Formel 1 fanden genau vier Vorschriften im Dienste der Sicherheit den Weg ins Regelbuch. 1952 wurde der Sturzhelm Pflicht, 1959 der Überrollbügel, 1969 Sicherheitsgurte, 1973 deformierbare Tanks. Die Strecken konnten mit der Entwicklung der Autos nicht mithalten. Die wurden immer leichter, zerbrechlicher und schneller. Doch neben der Strecke lauerten Bäume, Hecken, Telegrafenmasten und Mauern.“
Nach dem Boykott investierten die Verantwortlichen am Nürburgring erstmals in Fangzäune, Leitplanken und kleine Auslaufzonen. Zuvor waren einige Bäume, die besonders nah an der Strecke standen, gefällt worden. Medienberichten zufolge sollen (hier schwanken die Angaben) zwischen 17 und 21 Millionen Mark in diese ersten Sicherheitsmaßnahmen geflossen sein.
Bereits ein Jahr später kehrte der große Motorsport in die Eifel zurück. Allerdings war jetzt die Nordschleife durch die Umbauten eher noch schneller und damit gefährlicher geworden. An vielen Stellen war jedoch keine der geforderten breiten Auslaufzonen angelegt worden, da dies enorme Erdbewegungen erfordert hätte. Als nachteilig erwiesen sich die ergriffenen Maßnahmen beim Personaleinsatz, der nun anstieg und die Kosten in die Höhe trieb: Bei Großveranstaltungen mussten jetzt bis zu 1200 Streckenposten und Helfer eingesetzt werden. Bei Streckenunfällen blieb alles wie gehabt: Krankenfahrzeuge mussten im Ernstfall weiterhin kilometerlange Wege zurücklegen, die wertvolle Zeit kosteten.
Der Nürburgring – sprich die Nordschleife (die kürzere Südschleife war nicht umgebaut worden und wurde ab Mitte der 1970er-Jahre gar nicht mehr für Rundstreckenrennen genutzt) – blieb demzufolge auch nach den Umbaumaßnahmen gefährlich. Dabei wurden die Rennwagen schneller und schneller. Das Damoklesschwert über dem „Ring“ warf schon riesige Schatten …
Lauda übernimmt im Kampf für mehr Sicherheit den Staffelstab von Stewart
1976 sollte der vorläufig letzte Große Preis in der Eifel ausgetragen werden. Niki Lauda, damals amtierender Weltmeister, sprach sich gegen den Lauf auf dem Nürburgring aus, zu groß erschien ihm das Risiko auf dieser Strecke. Überstimmt von seinen Fahrerkollegen scheiterte er mit seinem Versuch eines erneuten Boykotts. Thomas Harloff erinnerte sich in seinem Nürburgring-Beitrag „Schwer zu fahren, leicht zu sterben“ für die Süddeutsche Zeitung: „Die Fans, blind vor Liebe und Loyalität ihrem ,Ring‘ gegenüber, sahen in Lauda, dem Nürburgring-Kritiker, ein neues Feindbild.“
Im Rennen, das am 1. August 1976 gestartet wurde, verlor Lauda in der zweiten Rennrunde im Streckenabschnitt „Bergwerk“ die Kontrolle über seinen Ferrari. Bei diesem Unfall entkam der Ferrari-Pilot mit schwersten Verbrennungen nur knapp dem Tod. Da sein Fahrzeug die Bahn teilweise blockierte, mussten nachfolgende Fahrer anhalten. Der Italiener Arturo Merzario konnte den bewusstlosen Lauda unter Mithilfe anderer Piloten aus dem brennenden Wrack ziehen.
Noch heute wird dieser Unfall vielfach als Ursache für die dauerhafte Abkehr der Formel 1 von der Nordschleife angesehen. Überlegungen zur Verkürzung des Rings hatte es aber bereits vorher gegeben. Die Streckenlänge von 22,8 Kilometern erforderte einen sehr hohen Aufwand hinsichtlich des Organisations- und Rettungspersonals. Zudem war es bei dieser Streckenlänge nicht möglich, die Erhebung des Eintrittsgeldes von allen Zuschauern sicher zu stellen.
Günter Götz, damals Sprecher des rheinland-pfälzischen Verkehrsministeriums, verkündete trotzig, Laudas Unfall spreche nicht gegen die Strecke, an eine Schließung des Nürburgrings sei „überhaupt nicht zu denken“. Es kam anders: Nach dem Feuerunfall des Österreichers entzog die Commission Sportive Internationale (CSI) – heute Fédération Internationale du Sport Automobile (FISA) – der Nürburgring GmbH 1977 die Lizenz zur Durchführung von Formel-1-Rennen auf der Nordschleife.
Letzter Formel-1-Sieger auf der alten Nordschleife wurde der Brite James Hunt, der in jenem Jahr Laudas Erzrivale um den WM-Titel war. Da Lauda wegen seiner Unfallverletzungen zwei Rennen auslassen musste und erst wieder am 12. September 1976 zum Großen Preis von Italien in Monza ins Cockpit zurückkehrte, konnte sich Hunt am Ende der 76er-Saison auch knapp den Weltmeistertitel sichern.
Nur noch die Start- und Zielgerade mit dem alten Kurs gemeinsam
Nachdem die Formel 1 in Deutschland ab dem Jahr 1977 nur noch in Hockenheim fuhr und andere internationale Serien aus der Eifel ebenfalls abzuwandern drohten, wurde wieder über eine Erneuerung des Nürburgrings diskutiert. Nachgedacht wurde zunächst über einen neuen Zuschnitt der 22,8 Kilometer langen Nordschleife. „Doch“, so erinnert sich der damalige Eifel-Korrespondent des SWR Heinrich Schöneseifen, „alle Abkürzungen hätten irgendwo Dörfer tangiert.“ Deshalb sei eine neue, kürzere Strecke auf dem Gelände der alten Südschleife favorisiert worden. „Die war damals schon zugewuchert, da fanden keine Rennen mehr statt“, so Schöneseifen.
Danach rückte ein 6,5 Kilometer langer Neubau in den Fokus der Planer. Das Projekt wurde 1979 beschlossen – aber bereits ein Jahr später wieder gestoppt. Die Bundesrepublik wollte als Geldgeber wegen der befürchteten Kostenexplosion passen. Erst die Gründung des Vereins „Ja zum Nürburgring“ um den damaligen ADAC-Vize Otto Flimm brachte schließlich die Wende. Der Bund konnte als Mitgesellschafter aussteigen, wenn er das zunächst vorgesehene Startkapital beibrachte.
Letztendlich fiel dann die Wahl auf eine rund 4,5 Kilometer lange moderne Rennstrecke, die nur noch die Start- und Zielgerade mit dem alten Kurs gemeinsam hatte. Sicherheit war das Maß aller Dinge: Riesige Auslaufzonen wurden entlang der Strecke angelegt, in vielen seitlichen Einbuchtungen wurde Platz für Rettungswagen geschaffen – die Einsatzkräfte sollten in spätestens 30 Sekunden am Unfallort sein. Niki Lauda lobte nach einer Besichtigung am Tag vor der Eröffnung: „Eine der sichersten Rennstrecken, wirklich so intelligent gebaut, dass man sich die nächsten 15 Jahre keine Sorgen machen muss.“ In den neuen Nürburgring wurden etwa 84 Millionen Mark investiert.
Am 12. Mai 1984 wurde die neue Grand-Prix-Strecke am Nürburgring mit einem Eröffnungsrennen in Betrieb genommen. Rund 20 Fahrer, davon gut die Hälfte Formel-1-Weltmeister, kämpften in nagelneuen Fahrzeugen des Typs Mercedes 2,3-16V, die extra für den Lauf modifiziert worden waren, um den Sieg. Als erster Gewinner auf dem neuen Nürburgring wurde der 24 Jahre alte Brasilianer Ayrton Senna gefeiert. Nach dem Formel-Eins-Neuling ging Niki Lauda als Zweiter und Carlos Reutemann als Dritter durchs Ziel.
Am 7. Oktober 1984 fand das erste Formel-1-Rennen auf der neuen Strecke statt. Der Sieger des Großen Preises von Europa in der Eifel war der Franzose Alain Prost. Ein Jahr später, am 4. August 1985, gewann der Italiener Michele Alboreto auf dem neuen Nürburgring der Großen Preis von Deutschland.
Erster deutscher Sieg in der Geschichte der Formel 1 am Nürburgring
Ab 1986 fanden die unter der Bezeichnung „Großer Preis von Deutschland“ ausgetragenen Formel-1-Rennen alle auf dem Hockenheimring statt. Von 1995 bis 2006 wurde dann jährlich am Nürburgring ein zweites Formel-1-Rennen in Deutschland ausgetragen, das als „Grand Prix von Europa“ bezeichnet wurde (in den Jahren 1997 und 1998 als „Großer Preis von Luxemburg“).
Um es noch verwirrender zu machen: 2006 wurde bekannt, dass Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone trotz bestehender Verträge mit beiden deutschen Rennstrecken ab 2007 nur noch einen Grand-Prix-Lauf pro Jahr in Deutschland zulassen wollte – jeweils im jährlichen Wechsel auf dem Hockenheimring und auf dem Nürburgring.
Der deutsche Grand Prix 2007 wurde auf dem Nürburgring als Großer Preis von Europa ausgetragen, einen Großen Preis von Deutschland gab es in diesem Jahr nicht (da die Namensrechte dafür beim Automobilclub von Deutschland liegen, fand dieser Grand Prix erst wieder 2008 auf dem Hockenheimring statt).
Mittlerweile waren an der Rennstrecke in der Eifel größere Baumaßnahmen erfolgt. Im Winter 1994 und im Mai 1997 war die Veedol-Schikane so umgestaltet worden, dass die engere Streckenführung die Geschwindigkeit der Fahrzeuge deutlich verringerte. Durch den Bau der „Mercedes-Tribüne“ 1995 konnte die Kapazität der Besucher auf 120.000 erweitert werden. 1999 wurde für etwa 30 Millionen Euro ein neues Boxengebäude an der Rennstrecke errichtet.
2001 schließlich erweiterte man die Gesamtstrecke mit dem Bau des neuen Streckenabschnitts „Mercedes-Arena“ auf 5,1 Kilometer.
Der Formel-1-Sport am Nürburgring war in den Jahren 1995 bis 2013, in denen 16 Grand-Prix-Rennen gestartet wurden, oft eine deutsche Angelegenheit. Michael Schumacher fuhr fünf Siege am „Ring“ ein – so viele wie niemand zuvor. Er gewann dort die Großen Preise von Europa am 1. Oktober 1995, 21. Mai 2000, 24. Juni 2001, 30. Mai 2004 und 7. Mai 2006. Sein Sieg 1995 war übrigens der erste Sieg eines deutschen Fahrers in der Geschichte der Formel 1 am Nürburgring.
Auch Ralf Schumacher (29. Juni 2003, Großer Preis von Europa) und Sebastian Vettel (7. Juli 2013, Großer Preis von Deutschland) konnten sich am Nürburgring beim Klang der deutschen Nationalhymne von den Massen feiern lassen.
Die weiteren Formel-1-Fahrer, die sich in dieser (vorläufigen) „Ring“-Schlussepoche als Sieger verewigen konnten, waren: Jacques Villeneuve aus Kanada (1996 und 1997), der Finne Mika Häkkinen (1998), der Brite Johnny Herbert (1999), Rubens Barrichello aus Brasilien (2002), der spanische Pilot Fernando Alonso (2005 und 2007), der Australier Mark Webber (2009) und Lewis Hamilton aus Großbritannien (2011).
Bau der neuen Grand-Prix-Strecke sicherte auch die legendäre Nordschleife
Zweifellos entscheidend für die Entwicklung des Nürburgrings in den vergangenen Jahrzehnten ist der Lizenzentzug 1977 für die Formel 1 auf der Nordschleife durch die damalige CSI. Diese Entscheidung machte, was zunächst natürlich noch nicht sofort so gesehen wurde, den Weg frei für den Wandel von der veralteten Sportstätte zum modern gemanagten Freizeitunternehmen mit Schwerpunkt „Motorsport“.
Auch der Bau der neuen Grand-Prix-Strecke in der Eifel – modern, sicher, zuschauerfreundlich – eröffnete neue Möglichkeiten und sicherte gleichzeitig den Fortbestand des traditionsreichen alten Kurses, der legendären Nordschleife. Die Kombination von Tradition und Fortschritt führte dazu, dass der Nürburgring – unbesehen aller wirtschaftlichen Turbulenzen – heute immer noch mit weitem Abstand die am meisten und am vielseitigsten genutzte Motorsportanlage der Welt ist.
Mit dem „Truck-Grand-Prix“ des ADAC hatte 1986 eine Veranstaltung in der Eifel Premiere, die sich im Laufe der Zeit zu einem starken Publikumsmagneten entwickelte. 117.000 Zuschauer verfolgten beispielsweise im Jahr 2018 das „Elefantenrennen“. Die „größte PS Show der Welt“ (so die Veranstalter) wird im Zeitraum 17. bis 19 Juli 2020 bereits zum 35. Mal am „Ring“ zu sehen sein.
Ein weiterer Motorsport-Höhepunkt ist alljährlich die „Deutsche Tourenwagen-Masters“, kurz DTM. Europas bekannteste und schnellste Tourenwagen-Serie gastiert seit mehr als 30 Jahren in der Eifel. 2018 zog die DTM rund 80.000 Fans an, ähnlich gut sind die Zahlen für 2019. Auch 2020 (11. bis 13. September) dürfen sich die Rennsportfreunde wieder auf zahlreiche Duelle der Hersteller Aston Martin, Audi und BMW freuen. Wie immer wartet ein großes Rahmenprogramm auf und neben der Strecke.
Längst hat auch die „VLN Langstreckenmeisterschaft Nürburgring“ die Herzen der Motorsportgemeinde im In- und Ausland erobert. Hier sind – vom seriennahen Kleinwagen über Youngtimer bis zum ausgewachsenen Rennfahrzeug – häufig mehr als 180 Fahrzeuge am Start. Die Rennen zum „VLN-Langstreckenpokal“ finden zehnmal im Jahr statt.
Fester Bestandteil des jährlichen Nürburgring-Veranstaltungskalenders ist auch das „ADAC TOTAL 24h-Rennen“. Das 24h-Rennen hatte sich in den 1990er-Jahren fest etabliert und wuchs immer weiter: Bereits 1989 wurde erstmals die Marke von 100.000 Zuschauern geknackt. Die 48. Auflage des beliebten Langstreckenklassikers, der über die rund 25 Kilometer lange Kombination aus Nordschleife und Grand-Prix-Strecke geht, findet im Zeitraum 21. bis 24. Mai 2020 statt. Gut einen Monat zuvor (25. bis 26. April 2020) wird ein Qualifikationsrennen gefahren.
Absolutes Highlight der Saison für Oldtimer-Fans ist der jährliche „AvD-Oldtimer-Grand-Prix“ in der Eifel. In der Regel kommen zu dieser Veranstaltung mehr als 50.000 Zuschauer. Der „AvD-Oldtimer-Grand-Prix“ zählt nach Aussage der Initiatoren „zu den hochkarätigsten Rennsport-Events im historischen Motorsport in Kontinentaleuropa“. In den verschiedenen Klassen sind rund 500 historische Rennwagen zu sehen, außerdem Sportwagen und GT-Fahrzeuge der 1950er-Jahre sowie Tourenwagen früherer Rennserien. Die letzte Zeitreise durch fast 100 Jahre Motorsportgeschichte gab es am Nürburgring im Zeitraum 9. bis 11. August 2019. Der nächste „AvD-Oldtimer-Grand-Prix“ findet vom 7. bis zum 8. August 2020 statt.
Nürburgringstrecken sind heute fast komplett ausgelastet
Mirco Markfort, seit März 2016 Geschäftsführer der Nürburgring-Betriebsgesellschaft, zog im Februar 2019 in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Thema „Nürburgring: Der Mythos lebt“ eine Zwischenbilanz. Zunächst erklärte er: „Wir sehen uns als multifunktionale Event-Location, aber der Kern ist der Motorsport.“ Denn was der Marke „Nürburgring“ ihren Glanz verleihe, sei nach wie vor „die unvergleichliche Nordschleife und die mit ihr verbundenen Heldengeschichten und Dramen“. Heißt: Die Massen kommen, wenn Rennen gefahren werden – alles andere ist am „Ring“ gern gesehenes Nebengeschäft.
„Die Strecken sind nahezu komplett ausgelastet“, so Markfort weiter. Dies komme auch den Geschäftsleuten rund um Nordschleife und Grand-Prix-Kurs zugute. Landwirte könnten ihr Einkommen aufbessern, wenn sie an den Veranstaltungstagen Parkflächen bereitstellen. Viele Anwohner würden als Ordner oder in der Gastronomie an Renntagen hinzuverdienen.
Ein gutes Geschäft sind auch die „Touristenfahrten“ über die Nordschleife im eigenen Auto oder als Gast eines Profi-Rennfahrers. Einmal um die Nordschleife kostet beispielsweise am Wochenende 30 Euro. Der Andrang ist stets riesig. Die Zufahrt befindet sich an der Döttinger Höhe bei Nürburg. Wer auf der legendären Strecke sein fahrerisches Können erproben oder einfach mal die technischen Möglichkeiten seines Fahrzeugs austesten möchte, muss sich an klare Spielregeln halten. Es dürfen nur solche Fahrzeuge auf die Strecke, die auch für den normalen Straßenverkehr zugelassen sind. Darauf wird bei der Einfahrtskontrolle genau geachtet. Die Strecke ist nur in einer Richtung befahrbar und die Fahrer haben den Anweisungen der Streckenposten Folge zu leisten. Das Tempolimit bestimmt der Fahrer selbst.
An vielen Wochen im Jahr ist die Nordschleife allerdings für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Dann nutzt die Autoindustrie die nach wie anspruchsvolle Berg- und Talbahn in der Hocheifel für ihre Fahrzeugerprobungen. Geschäftsführer Markfort sagte der Frankfurter Allgemeinen: „Die Hersteller können und wollen auf die Nordschleife als Teststrecke nicht verzichten“. Auch diese Nutzung spült Geld in die Kassen der Betriebsgesellschaft, die – Markfort zufolge – „mit ihren 200 Mitarbeitern nach Pacht und Steuern schwarze Zahlen schreibt“. Mittlerweile wieder …
„Der Nürburgring, mehr als eine Rennstrecke“
Die 1984 eröffnete neue Rennstrecke beschleunigte – neben der Installation alternativer Motorsportveranstaltungen und neuer Motorsportangebote – einen weiteren Prozess. Die Nürburgring-Betreiber überließen den Veranstaltungssektor nicht mehr allein Organisatoren aus der Welt des Sports, sie entwickelten und setzten eigene Ideen um. So trat in der Folge die Nürburgring GmbH im außersportlichen Geschehen nun selbst als Veranstalter an und brachte – vor allem unter dem Motto „Der Nürburgring, mehr als eine Rennstrecke“ – völlig neue Publikumskreise an den Nürburgring.
Bestes Beispiel für diese neue Philosophie ist das Musikfestival „Rock am Ring“, erstmals ausgetragen 1985. Bis 2014 fanden die Rockkonzerte jährlich im Fahrerlager-Bereich statt, danach zog die Veranstaltung in die nahegelegene Gemeinde Mendig um. Seit 2017 ist das Festival wieder am Nürburgring zuhause. Zu dem mehrtägigen Rock-Event kamen jedes Jahr mehr als 80.000 Besucher.
Die Nordschleife ist außerdem Austragungsort des Nürburgring-Laufs, der inzwischen zusammen mit verschiedenen Radsport-Veranstaltungen das Gesamtevent „Rad & Run am Ring“ bildet. Die Sportveranstaltung „Rad am Ring“ gibt es seit 2003. Für die Kategorien „Rennrad“ und „Mountainbike“ melden sich alljährlich bis zu 5000 Radsportler an.
Zum Jahresprogramm gehört auch das 24h-Radrennen auf dem Nürburgring, das dort ebenfalls seit 2003 ausgetragen wird. Der Veranstalter: „Das Ambiente der Formel-1-Arena und die Herausforderungen der legendären Nordschleife machen das Tag-und-Nacht-Radrennen weltweit einzigartig.“
Seit 2011 freuen sich auch immer wieder Hindernisläufer auf den „Fisherman’s Friend StrongmanRun“ rund um den Nürburgring. An dem Wettbewerb, der dem berühmten Vorbild „Tough Guy Race“ im englischen Wolverhampton ähnelt, nehmen jährlich mehr als 13.000 Läufer teil und mühen sich über 40 zum Teil extreme Hindernisse. „So ist der Nürburgring, so liebt ihr ihn!“ werben die Organisatoren für „die Mutter aller Hindernisläufe“ und meinen natürlich ihren „Fisherman’s Friend StrongmanRun“, der Jahr für Jahr mehr Neugierige anzieht.
Der Slogan „Der Nürburgring, mehr als eine Rennstrecke“ ist längst schon praktische Realität in der Eifel. Mit ihrer Symbiose aus Tradition und neuen Sport- und Freizeitangeboten hatten die Betreiber des Nürburgrings gemeinsam mit anderen Veranstaltern eine durchaus zukunftstaugliche Perspektive geschaffen. Die enormen Besucher- und Teilnehmerzahlen der vergangenen Jahre sprechen für sich. Warum aber endete der „Mythos Nürburgring“ zunächst am 21. Juli 2012 mit einem Offenbarungseid? An diesem Samstag stellte die damalige Nürburgring GmbH einen Antrag auf Insolvenz. Es war, so schrieb später die Frankfurter Allgemeine Zeitung, „eine Pleite mit Ansage“.
Ausufernde Startgebühren und schleichender Größenwahn
Die Gründe für den Absturz scheinen vielschichtig, die Erklärungen kompliziert und langatmig. Und dennoch lässt sich das Ganze auf den Punkt bringen. Die Frankfurter Allgemeine komprimierte das Debakel auf folgende fünf Sätze: „Über die Jahre stieg das Antrittsgeld für die Königsklasse des Motorsports stetig an und brachte die staatseigene Nürburgring GmbH finanziell immer stärker in Bedrängnis. Allein in den Jahren 2004 und 2005 fiel jeweils ein Verlust von mehr als neun Millionen Euro an – hauptsächlich verursacht durch die etwa 16 Millionen Euro Gebühr für die Formel 1. Doch auf die prestigeträchtige Serie wollte man nicht verzichten. Stattdessen sollte es ein Großprojekt richten und sogar ganzjährig viele Besucher in die Eifel locken: ein Themenpark samt Großraum-Disco, eine Multifunktionshalle für Boxkämpfe oder Hallenfußball, eine ausladende Flaniermeile und als Highlight die damals schnellste Achterbahn der Welt. Finanziert jeweils zur Hälfte von privaten Investoren und vom Land Rheinland Pfalz.“
Gegen die immer mehr ausufernden Startgebühren für die Königsklasse konnte sich die Nürburgring GmbH offenbar nicht energisch genug wehren. Im Januar 2007 warf der rheinland-pfälzische Rechnungshof den Rennstreckenbetreibern Missmanagement vor. Neben den Millionenverlusten in den Formel-1-Jahren 2004 und 2005 und dem „Antrittsgeld“ für Bernie Ecclestones Formula One Administration Ltd. (FOA) rügten die Prüfer auch, dass die Gesamtkosten pro Grand Prix jährlich um etwa zehn Prozent stiegen.
Der zweite Fallstrick, das Großprojekt „Nürburgring 2009“, brachte schließlich die Verantwortlichen ins Straucheln. Der Sturz war nicht mehr aufzuhalten. Der SWR hatte am 23. Oktober 2019 in einem Sonderbeitrag auf das ehrgeizige (besser maßlose) Vorhaben zurückgeblickt. Die detaillierte SWR-Chronologie des Fiaskos umfasst – ausgedruckt – mehr als vier DIN-A4-Seiten. In der Zusammenfassung heißt es: „Der Nürburgring sollte zu einer gewinnbringenden Erlebniswelt mit Rennsportmuseum, Kino, Achterbahn und Geschäften umgebaut werden. So sollten mehr Menschen in die Eifel gelockt und hunderte Arbeitsplätze geschaffen werden. Vor zehn Jahren am 9. Juli 2009 wurde der Park eröffnet.“
Die Planer schwärmten damals ebenfalls von Ferienhäusern, Hotels, Kneipen und einem Freizeitpark, die allesamt die defizitäre Rennstrecke aufwerten sollten. Im November 2007 starteten unter anderem der rheinland-pfälzische Finanzminister und SPD-Politiker Ingolf Deubel und Nürburgring-Hauptgeschäftsführer Walter Kafitz mit einem Spatenstich offiziell den Ausbau der Strecke zu einem ganzjährigen Freizeit- und Businesszentrum.
Der SWR: „Insgesamt hatte das Land rund eine halbe Milliarde Euro in das Prestigeprojekt investiert. Die Baukosten waren [inzwischen] explodiert, ein privater Geldgeber hatte sich als Betrüger entpuppt. Daraufhin trat Finanzminister Deubel im Juli 2009 zurück. Auch Ring-Manager Kafitz musste gehen. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf.“
Am 16. Oktober 2012 begann vor dem Landgericht Koblenz der Prozess gegen Ex-Finanzminister Deubel, Kafitz sowie drei weitere Manager. Die Staatsanwaltschaft warf den Angeklagten im Zusammenhang mit einer gescheiterten Privatfinanzierung des Freizeitparks am Nürburgring Untreue und Beihilfe zur Untreue vor. Zwei Jahre später, am 16. April 2014, wurden die Urteile im Untreue-Prozess vor dem Koblenzer Landgericht gesprochen. Deubel wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Gegen Kafitz und einen Controller wurden Bewährungsstrafen von einem Jahr und sieben Monaten beziehungsweise acht Monaten verhängt. Zudem sprach das Gericht gegen weitere Personen Verwarnung aus.
Am 24. April 2014 bestätigten die Anwälte von Deubel und Kafitz, dass sie Revision gegen die Urteile eingelegt hätten. Damit ging das Verfahren vor den Bundesgerichtshof. Dieser hob am 25. November 2015 die Urteile gegen Deubel, Kafitz und dessen Controller teilweise auf und verwies den Prozess zurück nach Koblenz. Für einen Teil der Tatvorwürfe wurde das Verfahren eingestellt.
In der Neuverhandlung verurteilte das Landgericht Koblenz Kafitz am 30. Januar 2017 wegen Untreue in fünf Fällen zu 17 Monaten Haft auf Bewährung. Sein damaliger Controller erhielt eine Bewährungsstrafe von siebeneinhalb Monaten. Die Neuverhandlung gegen den früheren rheinland-pfälzischen Finanzminister Deubel steht noch aus.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fasste in ihrem „Mythos“-Beitrag zusammen: „Zwei Schecks eines dubiosen Geldgebers platzten, der rheinland-pfälzische Finanzminister Ingolf Deubel musste zurücktreten und statt der avisierten Kosten von 150 Millionen Euro flossen fast 500 Millionen Euro von den Steuerzahlern. Erst wurden die Bauten 200 Millionen Euro teurer als geplant, dann mussten einige Mängel beseitigt werden und als alles endlich fertig war, blieben die Besucher aus. Dazu kamen Sonderausgaben wie die 200.000 Euro für ,Ring-Botschafter‘ Boris Becker, der die Massen leider auch nicht in die Eifel lockte. 2012 ging die Nürburgring GmbH pleite.“
Russischer Milliardär und Oldtimerfan übernimmt das Kommando
Nach der Insolvenz wurde der „Ring“ für 77 Millionen verkauft. Zum 1. Januar 2015 sollte der Autoteile-Zulieferer Capricorn übernehmen. Dann plötzlich, am 30. Oktober 2014, meldete die WirtschaftsWoche, dass der Nürburgring einen neuen Mit-Eigentümer hat: Der russische Milliardär Viktor Charitonin hatte sich mit seiner NR Holding nach Informationen der Düsseldorfer Fachzeitschrift anstelle des in Schieflage geratenen Unternehmens Capricorn bei der Rennstrecke eingekauft. Durch die Holding besaß Charitonin nun zwei Drittel der Anteile am Nürburgring, ein weiteres Drittel gehörte dem Unternehmen GetSpeed.
Die WirtschaftsWoche vor fünf Jahren zu den Hintergründen: „Capricorn-Chef Robertino Wild hatte die zweite Kaufpreisrate von fünf Millionen Euro bisher nicht aufbringen können und seine Anteile von zwei Dritteln an der Capricorn Nürburgring Besitzgesellschaft mbH (CNBG) Anfang Oktober an einen Treuhänder abtreten müssen. Zuvor war bekannt geworden, dass Wilds Kunstsammlung – die er als Sicherheit für einen Zahlungsaufschub stellte – bereits anderweitig verpfändet war.“
Über Charitonin wusste die Publikation zu berichten: „Der 41 Jahre alte Russe ist Großaktionär und Aufsichtsratschef des Unternehmens Pharmstandard, das er 2003 gemeinsam mit dem Oligarchen Roman Abramowitsch gegründet und inzwischen zum größten heimischen Arzneimittelhersteller in Russland ausgebaut hat. […] Das Magazin Forbes listete ihn 2013 mit einem geschätzten Vermögen von gut einer Milliarde Dollar auf Platz 1342 der reichsten Menschen der Welt. Charitonin, der auch eine Wohnung im ultrateuren Londoner Luxuswohnhaus Hyde Park One hat, ist Oldtimerfan und fuhr in diesem Jahr die Rallye Mille Miglia mit einem Mercedes 500 K von 1935.“
Die damalige rot-grüne Landesregierung von Rheinland-Pfalz hatte sich einst für die Übernahme einen Mittelständler als Investor gewünscht. Stattdessen saß plötzlich ein schwerreicher russischer Geschäftsmann mit im Boot. Einige Blätter fanden die Plattitüde denn doch zu verlockend und packten tatsächlich die Schlagzeile „Rote Hölle Nürburgring“ auf ihre Titelseite.
Roger Lewentz, heute in Mainz Minister des Innern und für Sport, 2014 Verkehrsminister, hatte einmal bei der Investorensuche für den Nürburgring gesagt, es sei „nicht erwünscht“, dass etwa ein Oligarch aus Russland oder dem Nahen Osten sich eine private Rennstrecke kaufe. Einige Zeit später korrigierte er seine Sichtweise bereits und lobte Charitonin. Der Geldgeber habe bereits Millionen in die Hand genommen und daher wohl „ein echtes Interesse an der Rennstrecke“.
Eine weitere positive Bewertung teilte kurz danach auch Vize-Regierungssprecher Marc Wensierski mit. Die Mainzer Staatskanzlei werte inzwischen den Einstieg Charitonins positiv, so das Statement gegenüber dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL Ende Oktober 2014. „Die Nachricht der Insolvenzverwalter, dass die Verträge erfüllt werden und die fälligen Raten für dieses Jahr bereits komplett bezahlt sind, ist für den Nürburgring eine wichtige und gute Nachricht“, so Wensierski.
2016 änderten sich die Eigentumsverhältnisse erneut. Der Minderheitsgesellschafter GetSpeed gab seine Anteile bis auf ein Prozent an die NR Holding ab. 99 Prozent hält damit Charitonin. Betrieben wird der Nürburgring aktuell durch die Nürburgring 1927 GmbH & Co. KG, eine einhundertprozentige Tochter der Nürburgring Besitzgesellschaft.
Der Nürburgring sichert rund 3000 Arbeitsplätze in der Region
Die nach dem Einstieg des russischen Milliardärs am Nürburgring vielfach geäußerten Befürchtungen, das Rennareal werde für die Öffentlichkeit und den Breitensport dicht gemacht, haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil. Guido Nisius, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Adenau, sagte im Februar 2019 gegenüber der Frankfurter Allgemeinen: „Mein Eindruck ist, dem Nürburgring ging es noch nie so gut wie zurzeit.“ Nach Schätzungen von Nisius sichern die Veranstaltungen am „Ring“ rund 3000 Arbeitsplätze in der Region. Bei der Betreibergesellschaft arbeiten außerdem aktuell 200 feste Mitarbeiter, vom Streckenservice über Handwerker bis hin zu Marketing-Fachleuten und Multimedia-Redakteuren.
Nach Auskunft der Nürburgring 1927 GmbH schreiben die Betreiber „weiterhin schwarze Zahlen“. Entscheidend dafür sei unter anderem die gute Streckenvermietung von Grand-Prix-Strecke und Nordschleife, die beide zwischen März und November zu einhundert Prozent ausgelastet seien. Alle sind sich bewusst, dass man mit der traditionsreichen Nordschleife auch weiterhin ein international berühmtes Alleinstellungsmerkmal hat. Die „Grüne Hölle“ hat nach wie vor geöffnet!
Autoren: Michael Behrndt / Robert OstrovskyDoku am Freitag - Geheimnis Nürburgring: Sendung vom 31.01.2014 (WDR)
Der Nürburgring - Im Höllentempo durch die Geschichte
NÜRBURGRING Nordschleife - ein Mythos, eine Liebe