Der Große Preis für Rennwagen war Jahrzehnte-lang die bedeutendste Motorsport-Veranstaltung in Deutschland. 1926 zum ersten Mal auf der Avus in Berlin ausgetragen, fand der Grand Prix vom folgenden Jahr an auf dem Nürburgring statt. Spitzenfahrer wie Caracciola, Rosemeyer, Nuvolari, Ascari, Fangio, Moss, Clark, Surtees und Stewart u.a. siegten auf der legendären Eifelstrecke. 1957 und 1961 sah ich auf der Nordschleife des "Rings" Formel-1-Rennen, die mir unvergesslich bleiben. Aber auch zahlreiche GP-Weltmeisterschaftsläufe, die ich in den Jahren von 1963 bis 1976 hautnah an der Nordschleife miterlebte, sind mir noch in bester Erinnerung.
XXV. Großer Preis von Deutschland - 4. August 1963
Kein Zweifel, der 25. Große Preis von Deutschland war das Rennen des John Surtees. Eine Zeit lang setzte ihm Jim Clark auf dem neuen Lotus 25 hartnäckig zu, gleichwohl behindert, weil ein Zylinder seines Coventry-Climax V8 streikte. Für eine Runde (von 15) führte auch Richie Ginther auf dem alternden BRM P57. Am Ende jedoch, kurz bevor der Regen kam, siegte vor 350.000 Zuschauern der Ferrari-Novize wie schon zehn Wochen zuvor beim 1000-Kilometer-Rennen am Nürburgring souverän mit 80 Sekunden Vorsprung.
Überschattet wurde dieser sechste Lauf zur WM 1963 durch zahlreiche mechanisch bedingte Ausfälle und schwere Unfälle. So raste etwa Surtees‘ notorisch vom Pech verfolgter Teamgefährte Willy Mairesse am Abschnitt „Flugplatz“ praktisch geradeaus. Der Ferrari erschlug einen Sanitäter am Streckenrand, eines seiner Räder flog über eine Baumreihe im Hintergrund und beschädigte Fahrzeuge auf einem Parkplatz dahinter. Wenig später verschwand Chris Amons Lola einhundert Meter weiter nach rechts durch die Hecke vor einem schütteren Baumbestand. Zur Erleichterung der Zuschauer erschien der junge Neuseeländer gleich darauf relativ wenig verletzt in der Lücke, die er gerade gerissen hatte.
Es war Surtees‘ erster Sieg für Ferrari und sein erster (von sechs) GP-Erfolgen überhaupt. Und: Er hatte die Scuderia aus dem Tal der Tränen befreit, in dem sie 1962 nach der Supersaison im Jahr zuvor ertrunken war. Die Anfangsphase hielt harte Arbeit für Mann und Maschine bereit: Seine schnellste Rennrunde führte Surtees bis auf 1,2 Sekunden an Clarks Trainingsbestzeit von 8‘45‘‘8 heran. Bei einem Grand Prix am Nürburgring, erzählte er später einmal, habe er sich meistens im kommoden Bereich von sieben Zehnteln des Möglichen aufgehalten – ähnlich einem Langstreckenrennen, um das Auto intakt zu halten. Diesmal sei er über weite Strecken mit zehn Zehnteln unterwegs gewesen. Was niemand wusste: Sein Ferrari 156 war dabei von der Nordschleife so „verprügelt“ worden, dass sich sein Halb-Monocoque ständig verwunden hatte und am Ende ein Riss im Benzintank klaffte. Bei der Zieldurchfahrt saß Surtees in einem Benzinbad. Ein Funke hätte zu einem flammenden Inferno geführt.
XXIX. Großer Preis von Deutschland - 6. August 1967
1967, im zweiten Jahr der neuen 3-Liter-Formel, begann die Formel 1 wieder Fuß zu fassen. So bildete das Starterfeld zum Großen Preis von Deutschland beispielsweise eine bemerkenswerte Artenvielfalt bei den Motoren ab.
Sie reichte vom BRM-H16 über die Zwölfzylinder von Maserati (in den Cooper), Ferrari, Honda und Harry Weslake (in den Eagle von Dan Gurney und Bruce McLaren) und die V8 von Repco im Heck der beiden Brabham für „Black Jack“ selbst und Denny Hulme und Ford, in jenem Jahr seit Zandvoort für das Lotus-Team mit Jim Clark und Graham Hill reserviert, bis hin zum Apfelbeck-Zweiliter-Vierzylinder in einem vereinzelten BMW-Werkswagen. Die Münchener hatten ihn für das Heimspiel von Ring-Heros Hubert Hahne in ein Lola-Chassis eingelassen. Dennoch füllte der veranstaltende AvD wie im Vorjahr das Feld mit Formel-2-Autos auf, acht an der Zahl, da sich die 17 GP-Monoposti sonst in den Weiten des Nürburgrings verloren hätten.
Seriensieger und Weltmeister 1963 und 1965 Jim Clark – wie schon 63, 65 und 66 aus der Pole-Position gestartet – führte vier Runden, bis am Karussell die vordere Aufhängung an seinem Lotus 49 kollabierte. Dies war die Folge eines Plattfußes hinten, den ein verirrter Nagel verursacht hatte. Dann enteilte Gurney Hulme als seinem nächsten Verfolger um über eine halbe Minute, bis eine defekte Antriebswelle den dunkelblauen Eagle ausrollen ließ, einen der schönsten Rennwagen seiner Epoche. Sieben Wochen zuvor hatte sich der Kalifornier in Spa in den illustren Zirkel der Konstrukteure eingereiht, die einen Grand Prix mit ihrem eigenen Produkt gewinnen durften. So fiel die Führung Denny Hulme in den Schoß, und er rettete sie bis ins Ziel – survival of the fittest, was sich durchaus auf das Championat des gelassenen Neuseeländers in jener Saison insgesamt übertragen ließ.
Mann des Rennens aber war der ungestüme junge Belgier Jacky Ickx in Ken Tyrrells flinkem und handlichem kleinem F2-Matra-Cosworth. Unterfüttert mit mehr als zwölf spektakulären Flugeinlagen pro Runde arbeitete er sich bis auf Gesamtrang fünf in die Phalanx der Großen vor, bis die Aufhängung des blauen Wägelchens all diesem Sturm und Drang einfach nicht mehr gewachsen war. Der Name seines Piloten aber hatten sich allen eingeprägt, wenn auch nicht unbedingt seine Rechtschreibung.
XXXI. Großer Preis von Deutschland - 3. August 1969
Der 31. Große Preis von Deutschland wirkte wie eine Illustration zu Jackie Stewarts noch ganz frischem Diktum von der „Grünen Hölle“. Nur vier Fahrer gingen die volle Distanz von 14 Runden, in der Reihenfolge Jacky Ickx (Brabham), Jackie Stewart (Matra), Bruce McLaren (McLaren) und Graham Hill (Lotus) – allesamt mit dem Cosworth-V8 im Heck. Ferrari glänzte durch Abwesenheit.
Schon allein Unfälle dezimierten das Fähnlein der 13 Grand-Prix-Rennwagen um ein Drittel. Mario Andretti flog bei seinem Europa-Debüt mit dem vierradgetriebenen Lotus 63 in der ersten Runde bei „Wippermann“ ab und nahm McLaren-Teilzeitpilot Vic Elford gleich mit. Piers Courage landete in der zweiten Runde mit Frank Williams‘ Brabham bei Breitscheid im Graben. Jo Siffert ramponierte Rob Walkers dunkelblauen Lotus 49 am „Karussell“ in der vorletzten auf dem Weg zu einem sicher gewähnten dritten Platz. Ein Querlenker war abgeknickt, ein berüchtigtes Lotus-Leiden. Wieder war das Feld der Formel-1-Monoposti durch acht F2-Wagen eingedickt worden, die sich dahinter anstellten und ihr eigenes Rennen fuhren.
Beim Freitagstraining war Gerhard Mitter hinter dem Streckenteil „Flugplatz“ mit seinem Dornier-BMW F269 tödlich verunglückt, ein schlimmer Schatten, der die Veranstaltung in der Eifel verdüsterte.
Ansonsten geriet das Wochenende zur eindrucksvollen Demonstration von Jacky Ickx‘ Fahrkunst und Meisterschaft auf dem „Ring“, die er sich in über 800 Runden erworben hatte: Pole-Position, nach einem zögerlichen Start Rang eins fast eine Minute vor Stewart, dem allerdings nur der dritte und der fünfte Gang zur Verfügung standen, neuer Rundenrekord im Rennen mit 7‘43‘‘8. Der Schnitt von Ickx über die gesamte Distanz lag mit weniger als acht Minuten je Durchlauf unter dem alten Bestwert, den Dan Gurney 1967 aufgestellt hatte. Im Sieg des Belgiers verquickten sich zwei gegensätzliche Elemente: junger, wenn auch schon gereifter Sturm und Drang und die stämmige Verlässlichkeit seines Brabham BT26A, dessen Rückgrat nach alter Väter Art noch von einem Gitterrohrrahmen gebildet wurde.
XXXIII. Großer Preis von Deutschland - 1. August 1971
1970 war der Große Preis von Deutschland an das badische Motodrom in Hockenheim ausgeliehen worden. Ein Jahr später bezog er wieder seine angestammte Heimstatt im Eifelgebirge. Inzwischen war die Nordschleife aufwändig renoviert und für Puristen wie Jacky Ickx oder Stirling Moss zugleich entmannt worden – mit gerodeten Wäldern, geglätteten Buckeln und Rinnen und Auslaufzonen wo möglich, eingefriedet in stählerne Planken und Fangzäune.
In Sekunden als der Währung der Grands Prix umgemünzt, belief sich der Fortschritt – inklusive der Evolution bei den Formel-1-Wagen – auf rund 20: In 7‘20‘‘1 (= 186,8 km/h) pfeilte Tyrrell-Jungstar François Cevert um den Kurs in seiner schnellsten Runde, seit Zandvoort im Jahr zuvor ein aufregender neuer Name im GP-Geschäft und definitiv der Held dieses Rennens am neuen „Ring“.
Die erste Reihe teilten sich Jackie Stewart im anderen Tyrrell als Trainingsschnellster und Jacky Ickx, inzwischen in seiner zweiten Dienstzeit bei Ferrari. Der Belgier musste gewinnen, um sich eine Chance auf den Titel jenes Jahres zu bewahren. In der Tat erwischte er den besseren Start. Doch bereits an der Nordkehre schnappte sich der Schotte den Ausreißer, der in der zweiten Runde (von diesmal nur zwölf) bei „Wippermann“ aus seinen Rückspiegeln verschwand, Resultat eines Fahrfehlers, durch den er die Aufhängung des Roten irreparabel verbog.
Während sich Stewart ein beruhigendes Polster von einer halben Minute aufbaute, arbeitete sich Cevert schier unwiderstehlich auf Rang zwei vor, griff sich erst March-Mann Ronnie Peterson und dann Mario Andretti im dritten Ferrari, Jo Siffert im Yardley BRM und Clay Regazzoni im Ferrari und holte sich schließlich den Rundenrekord im zehnten Durchgang. Ken Tyrrell jedoch, seines Zeichens ursprünglich Holzhändler und anerkannter talent scout der Branche, lachte sich ins Fäustchen. Jackie Stewarts zweites Championat war in Griffweite gerückt. Und: Cevert (eigentlich Goldenberg) sei doch nichts weiter als ein Schönling und Playboy, hatten sie gehöhnt, als er den Franzosen ins Team nahm. Spätestens jetzt hatte es sein Schützling allen gezeigt.
XXXIV. Großer Preis von Deutschland - 30. Juli 1972
Manchmal wiederholt sich Geschichte – fast. Die erste Startreihe zum 34. Großen Preis von Deutschland war dieselbe wie drei Jahre zuvor, nur dass Jacky Ickx inzwischen in seiner insgesamt vierten Saison für Ferrari arbeitete und Jackie Stewart Ken Tyrrells eigenes Produkt lenkte. Der Nürburgring als Maß aller Dinge hatte die beiden Besten unter seinen Bezwingern wieder zusammengebracht.
Diesmal indessen fiel der Erfolg des Belgiers noch triumphaler aus als 1969, Pole-Position, Führung über alle 14 Runden, nachdem ihm Emerson Fittipaldi (John Player Special alias Lotus 72) und Ronnie Peterson (March 721 G) beim kurzen Sprint zur Südkehre für einen glorreichen Augenblick das Nachsehen gegeben hatten, eine Bestzeit nach der anderen, gipfelnd in sensationellen 7‘13‘‘6 im zehnten Durchgang, souveräner Sieg mit 48 Sekunden Vorsprung vor seinem Teamgefährten Clay Regazzoni. Am Ende klang der Zwölfzylinder von Ichx im roten 312B2 ein wenig rau: Ein gebrochener Auspuff kostete viel von seinem Belcanto, aber nur wenige Umdrehungen, rund 400.
Ichx‘ großer Gegner Stewart im Tyrrell 003 hingegen erlebte einen Tag zum Vergessen, biss sich an Regazzoni beinahe die Zähne aus und flog in der letzten Runde im „Hatzenbach“-Geschlängel in die Leitplanke bei einem robusten Versuch, sich an dem sturen Tessiner vorbeizuquetschen. Nach dem Rennen wechselte man böse Worte, aber der erwartete Protest blieb aus.
Eine Nullrunde im Kampf um den Titel hielt dieser deutsche Grand Prix auch für Fittipaldi bereit, der nach zwei Dritteln der Distanz hinter den Boxen ausrollte. Flammen waberten um das Getriebe, weil durch ein Leck Öl auf die Auspuffrohre träufelte. Gleichwohl waren tüchtige Streckenposten rasch zur Stelle und verhinderten Schlimmeres. Schrill begleitet wurde dieser Doppelsieg von Enzo Ferraris kurioser Ankündigung, die Scuderia werde sich 1973 aus dem internationalen Rennsport zurückziehen. Viel Lärm um nichts: Es handelte sich offensichtlich um eine hohle Drohung mit dem Ziel, interne Querelen in den Griff zu bekommen. Aber sie zeigte Wirkung!
XXXV. Großer Preis von Deutschland - 5. August 1973
Und wieder ein Déjà-vu, diesmal vom Zieleinlauf 1971: Jackie Stewart vor François Cevert, beide im blauen Tyrrell opus 006. Abgesehen davon, entwickelte dieser Große Preis von Deutschland seine ganz eigene Dramaturgie. Stewart besetzte die erste Startreihe an der Seite von Ronnie Peterson, der zwar mit seinem schwarzgoldenen John Player Special im Training wie üblich spektakulär unterwegs war, aber bereits in der ersten Runde mit einem Schaden an der Elektrik ausfiel. Schon kurz vor der Südkehre hatte der Schotte seinen Teamgefährten in den Rückspiegeln ausgemacht, und dabei blieb es. Gegen das Tyrrell-Duo war an diesem Tag kein Kraut gewachsen.
BRM-Debütant Niki Lauda stürzte nach zwei Durchgängen, brach sich einen Handknochen und musste seinen Heim-GP zwei Wochen später in Zeltweg aussitzen. Jacky Ickx, für dieses eine Rennen Gastfahrer bei Yardley McLaren, hielt sich zäh auf Platz drei, hinter ihm Carlos Reutemann. Der Argentinier hatte alle Hände voll zu tun, seinen Brabham auf der Straße zu halten, weil aus einem Reifen langsam die Luft entwich. Hinter Reutemann sorgte ein anderer Südamerikaner für das Highlight des Rennens: Carlos Pace im Surtees. Nachdem der Brasilianer Reutemann überholt hatte, brach er auf der Jagd nach dem flüchtigen Ickx zweimal den Rundenrekord. Beim zweiten Mal stand die Uhr bei 7‘11‘‘4, zwei Sekunden über Stewarts Trainingsbestzeit. Sechs der 22 gestarteten Wagen blieben auf der Strecke, darunter die drei BRM. Die Fortüne der Traditionsmarke aus Bourne war längst im Sinkflug.
Jackie Stewart aber – seinen Rückzug vom Rennsport schon einige Zeit im Sinn – hatte seinen 27. und letzten Grand Prix gewonnen und seine dritte Weltmeisterschaft mit einem soliden Baustein untermauert. „An diesem Tage“, räumte er später freimütig ein, „hätte mich Cevert schlagen können.“ Was niemand wusste: Dem Franzosen, seinem designierten Thronfolger bei Tyrrell, waren nur noch zwei Monate beschieden. In Watkins Glen kam er am 6. Oktober 1973 bei einem grausamen Unfall ums Leben. Und so endete die Verabschiedung des Schotten im Londoner „Carlton Towers Hotel“ im Herbst in Tränen.
XXXVI. Großer Preis von Deutschland - 4. August 1974
Der 36. Große Preis von Deutschland bescherte Ferrari-Pilot Clay Regazzoni seinen zweiten Formel-1-Sieg nach Monza 1970, damals in seinem erst fünften Grand Prix. Er widerlegte zugleich ein Vorurteil, das sich während der Durststrecke in der Zwischenzeit ausgebildet hatte: der stämmige Schweizer sei halt die geborene Nummer zwei. Auf Rang zwei stand er auch in der ersten Reihe am „Ring“ – neben seinem Teamgefährten Niki Lauda im anderen Ferrari 312B3, der die Nordschleife in ziemlich genau sieben Minuten umrundet hatte. Doch dann ging alles ganz schnell.
Schon vor der Nordkehre eliminierte sich der Österreicher Lauda nach einem verpatzten Start selbst, als er Tyrrell-Mann Jody Scheckter auszubremsen versuchte, ein klarer Fahrfehler. Regazzoni jedoch führte von Anfang bis Ende und passierte die schwarz-weiß karierte Flagge rund 50 Sekunden vor Scheckter.
Der Südafrikaner Scheckter, Neuling am Nürburgring, hatte eine erstaunliche Leistung hingelegt. Schon seine viertbeste Zeit im Training zeugte von seiner Fähigkeit, sich zügig in einer neuen Strecke einzurichten. Selbst durch die Rempelei mit Lauda ließ er sich den zweiten Platz nicht nehmen, auch nicht durch die Attacken des Drittplatzierten Carlos Reutemann im Brabham. Aus dem wilden Novizen, der sich ein Jahr zuvor in Silverstone einen der größten Schrotthaufen der Grand-Prix-Geschichte aufs Kerbholz geladen hatte, war nach acht Zielankünften in den Punkten in Folge ein ernsthafter Anwärter auf die Weltmeisterschaft geworden. Die anderen beiden, Lauda und Fittipaldi, gingen leer aus. Denn der Brasilianer musste seinen Marlboro Texaco McLaren M23 nach der dritten Runde mit einem Schaden an der Aufhängung abstellen. Er hatte ihn sich bei einer Rangelei beim Start zugezogen.
Bei der Zieldurchfahrt fehlte Mike Hailwood. Qualvoll lange ließ Streckensprecher Jochen Luck die Zuschauer im Unklaren darüber, was eigentlich passiert war: Nach dem Sprunghügel bei Wehrseifen setzte der in den Yardley-Farben gemeldete McLaren des Motorrad-Champions schräg auf und knallte in die Leitplanke. Hailwood zog sich komplizierte Beinbrüche zu, die Formel 1 verlor einen ihrer schillerndsten und liebenswertesten Charaktere. Die Zweirad-Branche indessen war noch nicht fertig mit ihm – und er mit ihr. Aber das ist eine andere Geschichte.
XXXVII. Großer Preis von Deutschland - 3. August 1975
Die Sensation dieses Wochenendes fand bereits vor dem eigentlichen Rennen statt: Niki Laudas Pole-Position-Runde von 6‘58‘‘6 – ein Ritt im schmalen Niemandsland zwischen Sein und Nichtsein. Zusammen mit Keke Rosbergs Tiefflug in Silverstone zehn Jahre später und Ayrton Sennas Traumtanz 1988 durch Monaco war das zweifellos eine der drei größten in der Geschichte der Großen Preise. Der Unterschied zu den beiden anderen: Lauda war geradezu erschrocken über das, was er da gerade getan hatte.
Zwei Wochen zuvor hatten die Regenschauer von Silverstone das Feld dezimiert, diesmal waren es am „Ring“ die Steinchen, die beim Anschneiden der Kurven auf die Strecke geworfen wurden. Viele der 24 Wagen am Start endeten durch Reifenschäden oder durch Reifenschäden verursachte Unfälle. Lauda führte die ersten neun der 14 Runden, lief mit einem vorderen Pneu in Fetzen die Box an, fiel auf Rang fünf zurück und wurde Dritter, nachdem er Alan Jones im Hill und Tom Pryce im Shadow überholt hatte, beide noch Backbencher in der Startaufstellung. Ebenfalls in der zehnten Runde stellte Teamgefährte Clay Regazzoni seinen Ferrari 312T mit einem Motorschaden ab, nicht ohne die Bestzeit von 7‘06‘‘4 hinterlassen zu haben. Eine Zeit lang hatte es in der Eifel nach einem Doppelsieg für die Roten ausgesehen.
Pryce war der heimliche Held des Tages, wahrlich ein Schmerzensmann. Umflossen von einem Benzinbad, das seinen Overall tränkte und giftige Dämpfe in Nase und Augen entlud, sprang er nach der Zieldurchfahrt aus seinem Shadow und riss sich die Kleidung vom Leibe. Längst hatte der Waliser die Gurte gelöst und stemmte sich auf der Geraden aus dem Sitz auf der Suche nach Linderung.
Unbeirrt von dem Chaos um ihn herum hatte sich Carlos Reutemann mit dem Brabham an die Spitze vorgearbeitet und errang seinen vierten GP-Sieg. Ebenfalls von Schäden und Rempeleien verschont, behauptete sich Jacques Laffite auf Platz zwei, sehr zur Freude seines Teamchefs Frank Williams, denn er hatte just die beste Platzierung bislang für dessen bettelarmes Aufgebot abgeliefert. In der „Grünen Hölle“ flimmerte an diesem Renntag die Hitze. 250.000 Zuschauer dürsteten. Am späteren Nachmittag verkauften die Bauern in der Umgebung Leitungswasser, das Glas für eine Mark.
XXXVIII. Großer Preis von Deutschland - 1. August 1976
Schon eine ganze Zeit stand die Schrift an der Wand für die Nordschleife – jedenfalls als Schauplatz für die Großen Preise. Längst waren die Rennwagen schneller geworden als die Rennstrecke, die Unwägbarkeiten immer bedrohlicher. Ein Funke, und der Klassiker unter den Kursen war Geschichte. Am 1. August 1976 wurde der Funke zum Feuer, jenem Höllenbrand, der Niki Lauda während der zweiten Runde des 38. Großen Preises von Deutschland beinahe das Leben kostete. Ironie des Schicksals, eine von etlichen: Lauda war der beredte Wortführer unter den Kritikern des Nürburgrings.
Sogar das launische Eifelwetter mischte mit in einer fast fatalen Verkettung von Umständen. Nur McLaren-Mann Jochen Mass hatte Slicks aufziehen lassen. Das Glücksspiel schien sich auszuzahlen, als er am Ende des zweiten Durchgangs einsam an der Spitze des Feldes erschien. Noch nicht einmal die Motorengeräusche der Verfolger von der Döttinger Höhe her waren zu hören. Die meisten anderen hatten ihre Trockenreifen Ende der ersten Runde gefasst, so auch Mass‘ Teamgefährte James Hunt und Lauda, der von Startplatz zwei neben dem Briten ins Rennen gegangen war. Vermehrte Eile war angesagt, noch mehr Mut zum Risiko, als der Unfall vor dem Streckenabschnitt „Bergwerk“ passierte. The Show must go on, sagen sie …
Das eigentliche Rennen geriet zur Gala des James Hunt. Aus Runde eins kehrte er mit knapp zehn Sekunden Vorsprung vor Carlos Pace im Brabham-Alfa zurück. Bei Halbzeit hatte sich die Reihenfolge Hunt, Jody Scheckter (im sechsrädrigen Tyrrell), Clay Regazzoni (Ferrari), Pace, Mass vor den beiden JPS (oder Lotus 77) mit Mario Andretti und Gunnar Nilsson am Lenkrad sowie den anderen herausgebildet. Andretti fiel zurück nach einem Stopp, um seine lose Batterie fixieren zu lassen. Regazzoni verlor seinen dritten Platz nach einem Dreher und musste sich zu einem Rad- und Nasenwechsel an der Ferrari-Box einfinden. Mass überrumpelte schließlich Paces lahmenden Brabham und fand sich am Ende auf dem Podium wieder.
Sich so recht zu freuen vermochte sich an diesem Sonntag niemand, zu ungewiss war Niki Laudas Schicksal. James Hunt aber war seinem so fern gewähnten Ziel, der Weltmeisterschaft 1976, ein gutes Stück nähergekommen.