Jo Ramirez

Ramirez small2007 machte mich mein Freund Helmut Zwickl, Formel-1-Reporter-Legende und Organisator der Ennstal Classic im österreichischen Gröbming, mit einem seiner prominentesten Teilnehmer, dem Mexikaner Jo Ramirez, bekannt.

Ramirez, diesmal auf Porsche 911 ST dabei, hatte schon längere Zeit Gefallen an der Ennstal gefunden, beim "Autofahren im letzten Paradies", so der Veranstalter.

Ramirez arbeitete in den 1960er und 1970er Jahren bei mehreren Rennställen, darunter für Dan Gurneys Eagle, für John Wyer, Ken Tyrrell, Shadow, ATS sowie für Wilson und Emerson Fittipaldi in deren Fittipaldi Copersucar-Team. Von 1983 bis 2001 fungierte er als Teammanager bei McLaren.

Im Jahr 2005 veröffentlichte Ramirez seine Biographie: Jo Ramirez: Memoirs of a racing man. Ramirez, der fließend Spanisch, Englisch, Italienisch und Portugiesisch spricht, verfasste auch das Vorwort zu einigen Büchern wie Los Hermanos Rodríguez, The Brothers Rodríguez und La Carrera Panamericana ("Das größte Straßenrennen der Welt!").

Im Laufe der Jahre wurde mein Kontakt zu Jo intensiver, da ich ihm einige Bücher sowie Fotos und Unterlagen seiner Freunde Ricardo und Pedro Rodriguez zur Verfügung stellte.

Als ich 2016 zusammen mit Rainer Rossbach das Buch "Sharknose V6 - Ferrari 156, Ferrari 246SP & Ferrari 196SP" verfasste, stand uns Jo Ramirez mit Rat und Tat zur Seite. Auch deshalb, weil er Ricardo Rodriguez im italienischen Gran Premio 1961 bei dessen erstem Formel-1-Rennen auf einem Ferrari 156 "Sharknose" managte und ihn auch im folgenden Jahr, in dem Rodriguez als Werksfahrer für die Scuderia aus Maranello startete, betreute.

Später unterstützte uns Jo bei weiteren Buch-Produktionen mit Artikeln in Grand Prix-Bildbänden, im Buch "Taffy" und mit Berichten über den Großen Preis von Italien 1961 sowie über Ricardo und Pedro Rodriguez.

Auch anlässlich der Eröffnung der Wolfgang Graf Berghe von Trips-Ausstellung

am 4. Mai 2018 im ring°werk Museum am Nürburgrings sagte Jo spontan zu, das Grußwort zu schreiben:

"Es ist mir eine Ehre, im Namen meines verstorbenen Freundes Ricardo Rodriguez einige Worte zur Eröffnung der Wolfgang von Trips-Exposition zu schreiben. Es ist sehr passend, dass die Trips-Stiftung eine Recreation von Ricardos 1961er Ferrari 156 bei der Veranstaltung zeigen wird, den mein Freund Jason Stuart Wright bereitstellt.

Wir alle wissen, dass Enzo Ferrari keinen einzigen der berühmten Sharknose F1-Wagen erhalten hat, keines dieser berühmten Autos existiert heute mehr. Und deshalb danken wir allen, die den Bau der Recreation und der Replika übernommen haben, um dieses berühmte Fahrzeug am Leben zu erhalten.

Wie Nuvolari, Fangio, Clark, Stewart, Prost, Senna und Schumacher war Ricardo Rodriguez ein junger Mann, der alle Voraussetzungen hatte, einer der besten Fahrer zu werden. Nur fehlte ihm die nötige Sicherheitsaustattung, um einen schweren Unfall mit 160 km/h am Eingang der Peraltada-Ecke im Autodromo von Mexiko City zu überleben, dessen Kurs heute seinen Namen trägt.

Ricardo war einer derjenigen, die schon früh Rekorde in der Formel 1 aufstellten, als er für den Commendatore Enzo Ferrari unterschrieb, um seine Wagen zu fahren. Schon bei seinem allerersten Rennen in Monza 1961 konnte er seinen Sharknose-Ferrari 156 für die erste Reihe qualifizieren - als Zweiter hinter dem Meisterschaftsführenden Wolfgang von Trips mit nur einer Zehntelsekunde Rückstand. 

Ich erinnere mich, dass Ricardo vor dem Rennen mit Wolfgang von Trips zu Mittag aß. Trips riet ihm, nicht zu viel zu essen, um seinen Magen einigermaßen leer zu halten, da er ihn in der Curva Grande oder der Parabolica wahrscheinlich krank machen würde., denn die Fliehkräfte in diesen Hochgeschwindigkeitskurven waren enorm. Ricardo sagte mir später einmal, dass Trips ihm häufiger gute Ratschläge gab - auf dem Nürburgring, in Le Mans und auch bei der Targa Florio.

Ricardo war auch unglaublich überrascht, als ihn die anderen Ferrari-Fahrer vor dem Gran Premio in Monza 1961 fragten, welchen Gang er in den Lesmo-Kurven oder in der Parabolica benutzte - er war wirklich verblüfft: "Warum fragen sie mich, ich war noch nie hier, und es ist mein erster Start in einem Formel-1-Auto?"

Ricardo musste durch einen Benzinpumpendefekt im Großen Preis von Italien nach 13 Runden aufgeben, war aber glücklicherweise nicht in den tödlichen Unfall von Trips verwickelt. Trotzdem war es das erste Mal, dass der Tod ihm so nahe kam. Er war am Boden zerstört, denn sein Freund, der deutsche Aristokrat Wolfgang von Trips, wäre wahrscheinlich der Weltmeister von 1961 geworden."

Meine Erinnerung an Ricardo: Er war ein sehr bodenständiger junger Mann, der dazu bestimmt gewesen wäre, einer der Besten zu werden, aber leider nicht lange genug lebte.

Der Renn-Mann: Jo Ramirez

Kein Zweifel: „Insider“ zählt zu den schlimm missbrauchten Begriffen. Er deckt ja auch eine große Bandbreite ab, vom Lieferanten gesicherten Wissens bis hin zu dem Versuch, dessen Fehlen mit einer imposanten Vokabel zu verschleiern.

Jo Ramirez (korrekt: Ramírez), geboren im August 1941 in einem der weitläufig wuchernden Vororte des Molochs Mexiko City als eines von zehn Geschwistern, gehört definitiv zu der ersteren Spezies, einer, der immer mittendrin war und nicht nur einfach dabei. 

Ende April 1962 brach Ramirez nach Europa auf, um im großen Motorsport sein Glück zu machen. Sein Freund Ricardo Rodriguez, steil aufsteigender Stern am Rennfahrer-Firmament, fuhr die Targa Florio für Ferrari, da gab es kein Halten mehr. Jo schlug sich nach New York durch, reiste mit dem Dampfer nach England, trampte nach Neapel und nahm die Fähre nach Palermo. Eine Hand umklammerte sein Erspartes, 300 Dollar, und das, was davon übrig blieb. Sein Kumpel und die Ferrari-Leute empfingen ihn herzlich, ein Job winkte. Rodriguez gewann das Rennen im sharknosigen Dino 246SP, zusammen mit den beiden ungleichen Belgiern Willy Mairesse und Olivier Gendebien. 

Erst Ende September 2001 gab ihn der Kosmos Rennsport nach dem Grand Prix in Indianapolis wieder frei, nach 18 Jahren als team coordinator bei McLaren. Seine Freunde Emerson Fittipaldi und Placido Domingo, der große Tenor, prosteten ihm in der Box mit Champagner zu, und dann schnallten ihn die Mechaniker auf einem Reifen-Trolley fest und bewarfen ihn mit Eiern, robuster Humor, für den Ramirez  durchaus empfänglich ist.

In den vier Jahrzehnten dazwischen häufte Jo Ramirez 479 Grands Prix an, arbeitete in vielerlei Funktionen für Ferrari, Maserati, Lamborghini, John Wyers Ford GT40-Programm und John Wyers JW Automotive-Rollkommando  mit dem Porsche 917, Dan Gurneys Anglo-American Racers und Dan Gurneys All-American Racers, für Ken Tyrrell und Wilson Fittipaldis trist vor sich hin scheiternden Copersucar-Rennstall, für Don Nichols‘ Shadow-, Günter Schmids ATS- und Teddy Yips von purem Enthusiasmus befeuertes Theodore-Aufgebot. Ron Dennis kannte er schon seit den Sechzigern, als Dennis noch als Mechaniker am Cooper-Maserati von Jochen Rindt schraubte. 

Mit Rons Angebot, künftig für McLaren tätig zu sein, kehrte Stabilität ein. Den ruhigen Mexikaner im Team zu haben bürgte beinahe für den Erfolg, wie bei Ford und Wyer, wie bei Gurney, wie bei Tyrrell, wie später bei McLaren in den großen Jahren. Hinter jedem Weltmeister steht eine gut geölte Infrastruktur mit tüchtigen Schlüsselfiguren an den Schalthebeln. Jo Ramirez war eine von ihnen, bei Jackie Stewart ebenso wie bei den McLaren-Champions Lauda, Prost, Senna und Häkkinen. Bei beiden Rennställen trug er überdies sein Scherflein zu insgesamt acht Konstrukteurs-WMs bei.

Er solle, riet ihm Ken Tyrrell einmal, doch all das mal zu Papier bringen, was er schon erlebt habe. Dennis hingegen riet dringend davon ab, kein Mensch würde sich dafür interessieren. Zum Glück setzte sich der kernige ehemalige Holzhändler durch, und so entstand 2005 Jos Autobiografie „Memoirs of a Racing Man“. 

Das Buch sollte dem Fan und dem aufstrebenden Journalisten als Pflichtlektüre verschrieben werden, Kompendium, Enzyklopädie und Zeitreise durch 40 Jahre Drama, Geschichte und Geschichten, Anekdoten und Episoden, erzählt mit Herz und Humor von einem, der ganz nahe dran war an den Ereignissen und an den Menschen. 

Er war dabei, als Dan Gurney am 28. Juni 1967 in Spa strahlend als Sieger vom Podium neben der abfallenden Zielgeraden herablächelte, in den Händen ein riesiges Blumengebinde. Der lange Amerikaner hatte just den GP von Belgien gewonnen in seinem eigenen Produkt, dem Eagle, den wohltönenden Weslake-V12 im Nacken. Jo war der Erste, der nach Sennas wahrlich unnötigem Crash 1988 in Monaco wieder Zugang zu dem Superstar bekam, der sich am Boden zerstört in seinem Appartement in der Avenue Princesse Grace verbuddelt hatte. 

Er war nicht weit, als sich 1989 und 90 die beiden Erz-Kontrahenten Prost und Senna in Suzuka in wildem, aber kontrollierten Männerhass von der Strecke schubsten. Er wurde zum erschrockenen Ohrenzeugen, als Senna nach der Qualifikation zum GP von Portugal 1993 einen Tobsuchtsanfall bekam: McLaren-Novize Mika Häkkinen, für den gescheiterten Michael Andretti ins Team gekommen, hatte den großen Kollegen gerade vom dritten Platz verstoßen und freute sich wie ein Schneekönig. Ramirez war zugegen, wenn Ayrton Senna und Ron Dennis ihre zähen und einem Schachspiel ähnelnden Verhandlungen führten, Dauer-Thema: die Verweildauer des Brasilianers beim Marktführer in der Formel 1 und seine Honorierung.

Natürlich war ihm auch die teuflische Seite seines Sports vertraut und belastete ihn furchtbar. Vom Ableben der Gebrüder Rodriguez erfuhr er nur aus der Ferne. Den Trip von Europa nach Mexico City, wo Ricardo beim Training zu einem GP des Landes außerhalb der WM-Wertung am 1. November 1962 in Rob Walkers Lotus ums Leben kam, hatte er sich nicht leisten können. Von Pedros Sterben im Juli 1971 zu Nürnberg in Herbert Müllers Ferrari 512M wurde er erst am Montag danach durch die Medien in Kenntnis gesetzt, die Reise, so schien es, würde sich nicht lohnen.

Andere Todesfälle erlebte Jo Ramirez aus unmittelbarer Nähe, den von Lucky Casner im April 1965 in Le Mans im Fünfliter-Maserati, den von Jo Siffert im Oktober 1971 in Brands Hatch im Yardley-bunten B.R.M. an einem ebenso schönen und keineswegs Unheil verheißenden Wochenende wie die katastrophalen Tage Ende April/Anfang Mai in Imola, als dem Leben und der Formel 1 Roland Ratzenberger und Ayrton Senna abhandenkamen, der scheinbar Unantastbare. Schon früh, sagt Ramirez, habe er sich bemüht, die Beziehung zu den ihm anvertrauten Fahrern und nicht nur zu ihnen nicht allzu eng werden zu lassen – sofern das emotional überhaupt möglich sei.

Jo spricht vier Sprachen, Englisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch, und wohnt überwiegend im spanischen Mijas in der Provinz Malaga. Natürlich hat ihn die Formel 1 nie so richtig aus ihren Fängen gelassen. Und so kreuzt Jo Ramirez, ein würdiger und gelassener  Botschafter seines Sports, gelegentlich mit seiner Lebensgefährtin Ursula, einer Wienerin, an den GP-Strecken auf, sofort umringt von älteren Grand-Prix-Schaffenden, die ihn noch aus seiner aktiven Zeit kennen. 

Ramirez hat keine Feinde. „Wie schaffst du es nur“, fragte ihn Bernie Ecclestone einmal, „dass alle dich mögen?“ Und aus seinen Worten klang auch ein bisschen Neid.

(Hartmut Lehbrink)


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